Stuttgart, 24. Februar 2021 Am 25. Februar 2021 stellt die Liga der freien Wohlfahrtspflege zum 29. Mal die Ergebnisse der Stichtagserhebung in Baden-Württemberg vor. Am 25. September 2020 wurden insgesamt 11.421 hilfesuchende Menschen in den Diensten und Einrichtungen der Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe beraten und unterstützt, davon 26,1 Prozent Frauen. Das sind 849 Menschen (-6,9 Prozent) weniger als noch am Stichtag im Jahr 2019.
„Auf den ersten Blick erscheint diese Zahl positiv“, so Dr. Annette Holuscha-Uhlenbrock, Vorstandsvorsitzende der Liga-BW. Weniger wohnungslose Menschen, weniger Menschen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind und damit weniger von Armut bedrohte und betroffene Menschen in Baden-Württemberg. Doch die Realität in Zeiten der Corona-Pandemie ist eine Andere, die Not ist nicht gesunken, sondern weiter gewachsen. „Der Rückgang der erfassten Personen ist kein Rückgang der Fälle, sondern ein Ergebnis des Infektionsschutzes“, erläutert Holuscha-Uhlenbrock.
Die geltenden Kontaktbeschränkungen, die Einhaltung von Abstandsregeln und Distanzgeboten, die Minderbelegungen von Einrichtungen zur Reduzierung des Ansteckungsrisikos, die Bereitstellung von Quarantänebereichen, die vorzeitigen Haftentlassungen durch Haftunterbrechungen oder die Aufschiebung von Haftstrafen in Fällen, in denen die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet ist und vieles mehr, treffen und beschränken auch die Dienste und Einrichtungen der Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg. Vor allem aber treffen Sie Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen hart.
Im Rahmen der Pandemie werden Menschen, die auf der Straße leben und in den niederschwelligen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe wie Fachberatungsstellen, Wärmestuben oder Tagestreffs Hilfe suchen immer wieder vergessen. „Diese Menschen können nicht zuhause bleiben, weil sie keines haben. Sie sind auf die Dienste der Wohnungslosenhilfe angewiesen. Daher sind diese systemrelevant und müssen gezielt mit Masken, Tests und finanzieller Unterstützung in dieser Krise gestärkt werden,“ so die Vorsitzende der Liga.
Neben all diesen Faktoren kommt es im Moment in Baden-Württemberg zu Verschiebungen, deren Auswirkungen noch nicht fassbar sind. Mit Soforthilfen für Obdachlose unterstützte das Land Kommunen als auch Stadt- und Landkreise im Frühjahr und Winter 2020 finanziell, zusätzlich geeignete Räumlichkeiten zu finden, die eine Notübernachtung sicherstellen und tagsüber zum Aufenthalt geöffnet sind. Insgesamt standen hierfür im Jahr 2020 den Kommunen als auch den Stadt- und Landkreisen 900.000 Euro zur Verfügung. „Dieses Engagement des Landes ist sehr zu begrüßen. Da uns aber aktuell noch nicht bekannt ist, wie viele Menschen tatsächlich das Angebot der Notübernachtung im Rahmen der ordnungsrechtlichen Unterbringung in Baden-Württemberg in Anspruch nehmen, ist die Wirkung dieser Hilfe auszuwerten und auszubauen. Klar ist aber auch, dass die ordnungsrechtliche Unterbringung ohne entsprechende Beratung und Unterstützung nicht geeignet ist, Menschen aus Wohnungsnotlagen zu befreien“, erläutert Holuscha-Uhlenbrock.
Die Ereignisse, rund um die Corona-Pandemie, beeinflussen die Zahlen der 29. Stichtagserhebung 2020 und lassen erahnen, dass die Zahl, der von Wohnungsnot oder Wohnungslosigkeit bedrohten oder betroffenen Menschen im Land nicht geringer geworden ist. „Wir müssen davon ausgehen, dass diese höher denn je ist und dass sie weiter ansteigen wird. Sinkende Einkommen durch Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und der Wegfall zahlreicher Beschäftigungsverhältnisse am unteren Rand sowie die damit verbundenen Einkommenseinbußen, die zu Zahlungsschwierigkeiten und zunehmender Überschuldung führen können, verschärfen die Lage der armutsgefährdeten Menschen in unserem Land“, führt die Liga Vorstandsvorsitzende aus.
Die Verbände der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg fordern seit langem ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Beendigung der Obdachlosigkeit und machen mit den Ergebnissen der diesjährigen Stichtagserhebung erneut darauf aufmerksam:
- Konsequente Weiterentwicklung und Umsetzung des Fachkonzeptes zur Verbesserung der Situation für Menschen in Wohnungsnotlagen in Baden-Württemberg. Die Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg (LAGöfW) ist hier nach Kräften gefordert.
- Gegen Wohnungsnot helfen nur Wohnungen. Die Situation der Menschen in sozialen Schwierigkeiten wird sich nur flächendeckend verbessern lassen, wenn in der Belegung im Bestand sowie beim Neubau wirksam und sozial verantwortlich gesteuert wird und der Abbau von Sozialwohnungen gestoppt wird.
- Angebote zur Prävention von Wohnungslosigkeit und Plätze in Facheinrichtungen der Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII müssen bedarfsgerecht ausgebaut werden.
- Amtliche Wohnungsnotfallstatistik muss an den in Baden-Württemberg vorhandenen Wissenstand anknüpfen. Die Daten der Bundesstatistik müssen hier durch die geeinten Daten in Baden-Württemberg ergänzt werden. Es braucht mehr als eine reine Übernachtungsstatistik.
- Im Zuge der Corona-Pandemie braucht es für Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen aber auch für die Dienste und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe unbürokratische, unkomplizierte und schnelle Hilfen. So werden beispielsweise Menschen in den niederschwelligen Hilfen wie Wärmestuben, Fachberatungsstelle und Tagestreffs regelmäßig vergessen. Obwohl die betroffenen Menschen vielfach zu vulnerablen Bevölkerungsgruppen gehören, wurden sie weder mit FFP2 Masken bedacht, noch sind sie bisher in die Teststrategie des Landes einbezogen. Ferner ist unklar, ob sie im Rahmen der Impfungen von mobilen Teams versorgt werden können. Auch sind die Dienste und Einrichtungen hier ein Stück weit alleine gelassen, obwohl sie mit finanziellem Aufwand und unter großer Kraftanstrengung das System am Laufen halten.
Kontakt: Dr. John Litau, Geschäftsführer als Mitglied des Vorstands, Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg e.V., Stauffenbergstraße 3, 70173 Stuttgart, Tel.: 0711/61967-0, Mail: litau@liga-bw.de
Die elf Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege sind die größten Anbieter von Diensten und Leistungen der Sozialen Arbeit in Baden-Württemberg. In enger Kooperation treten sie als Liga-BW für die Interessen hilfsbedürftiger und sozial benachteiligter Menschen auf allen Ebenen ein.