[Liga Ausschuss]

Migration

Integration Reloaded – Der Fachausschuss Migration hat die Aufgabe, die Migrationsgesellschaft in den Fokus zu nehmen. Ausgehend vom Leitbild der Liga der freien Wohlfahrtspflege analysiert und bearbeitet der Ausschuss die gesellschaftlichen, politischen und sozialen Entwicklungen mit dem Ziel den gesellschaftlichen Wandel in Deutschland mitzugestalten.

Für eine sogenannte postmigrantische Gesellschaft, bietet sich ein enormes Potential an ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Ressourcen. Um dieses Potential zu entfalten, ist eine Veränderung der gesellschaftspolitischen Perspektive erforderlich.

Deshalb arbeiten wir mit einem „neuen“ Integrationsbegriff, der die Veränderungen und Entwicklungen der Gesamtgesellschaft in den Fokus nimmt. Damit öffnen wir den Blick für die zu leistenden Integrationsbemühungen, die strukturellen und institutionellen Zugänge für alle Gesellschaftsmitglieder gleichermaßen offen zu gestalten, Chancengerechtigkeit herzustellen und Diskriminierung und Rassismus deutlich zu thematisieren.

Für eine solidarische Gemeinschaft führen wir den gesellschaftlichen Dialog zu allgemein akzeptierten Werten. Dabei müssen alle Gesellschaftsmitglieder gehört werden. Diejenigen, die bislang kein Gehör finden, unterstützen wir oder geben ihnen unsere Stimme.

Unser besonderes Augenmerk liegt dabei auf den besonders vulnerablen Gruppen wie Geflüchtete, ohne Ansehen ihres jeweiligen Rechtsstatus und darunter die besonders Schutzbedürftigen wie traumatisierte Personen, alte und kranke Menschen, alleinreisende Frauen mit Kindern, minderjährige Flüchtlinge usw.

Fachliche Kommentierung des Koalitionsvertrags

In der Präambel zum Programm beschreibt die Landesregierung, dass sie für Daseinsfürsorge stehen will und Freiheit, Sicherheit und Teilhabe für alle garantieren möchte. Ein wichtiges und richtiges Ziel, denn die Demokratie in unserem Land steht vor großen Herausforderungen. Der Koalitionsvertrag spricht davon, dass demokratische „Fliehkräfte“ in der Gesellschaft zunehmen und die rasanten globalen Veränderungen und Vernetzungen viele Menschen verunsichern. Manche fühlen sich abgehängt und Verschwörungsmythen und Hasskriminalität gewinnen an Zulauf. Dieser Polarisierung und Spaltung möchte die neue Landesregierung entgegenwirken und setzt auf die gesamtgesellschaftlichen Kräfte.

Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege als große Player in der Sozialwirtschaft sehen sich als Partner der Landesregierung. Ihre Leitlinien stehen für eine solidarische, sozial verantwortliche, plurale und demokratische Gesellschaft. Um den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen, baut die Liga auf neue Denkansätze und Handlungsweisen. In ihrem neuen Konzept „Visionen – Potentiale – Wirkungen. Die Zukunft der Migrationsgesellschaft gestalten“ hat sie sich den Herausforderungen einer diversen, hybriden und offenen Gesellschaft gestellt und eine zukunftsweisende Strategie entwickelt. Unter dem Blickwinkel dieser Strategie hat die Liga – Fachausschuss Migration – das Regierungsprogramm analysiert und Stellung bezogen.

Der Fachausschuss Migration der Liga der freien Wohlfahrtspflege möchte damit einen Beitrag zur Umsetzung des neuen Regierungsprogramms für Baden-Württemberg leisten. Die Zusammenarbeit mit der neuen Landesregierung und an der gemeinsamen Gestaltung unserer Zukunft ist unser Wunsch und unser Ziel.

Unter dieser Überschrift möchte die Landesregierung gemäß ihrem Koalitionsvertrag die Flüchtlingspolitik betreiben. Die Verbände der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg sind maßgebliche Träger der Flüchtlingssozialarbeit sowohl in der Erstaufnahme wie auch in der vorübergehenden und Anschlussunterbringung. Eine humanitäre, pragmatische und verantwortliche Flüchtlingsaufnahme und Integration tragen wir gerne mit, da sie die Basis unserer verbandlichen Leitlinien bilden:

Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, haben aus menschen-, völker- europa- und verfassungsrechtlichen Gründen ein Grundrecht auf einen effektiven Zugang zu einem fairen und rechtsstaatlichen Asylverfahren, in dem ihr Schutzgesuch individuell geprüft wird und im Falle der Schutzbedürftigkeit einen Anspruch auf Asyl, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus. Viele der Asylsuchenden erhalten am Abschluss ihres Verfahrens einen Schutzstatus und verbleiben längerfristig oder für immer in Deutschland. Eine Differenzierung nach Herkunftsländern und Anerkennungsquoten (Länder mit sehr hoher, mittelhoher oder niedriger Schutzquote) ist diskriminierend und widerspricht dem Grundrecht auf Schutz vor Verfolgung. Über die Frage der Schutzgewährung wird im Asylverfahren aufgrund des jeweiligen Einzelfalles entschieden. Für eine nachhaltige gesellschaftliche Integration von den zu uns kommenden Geflüchteten ist eine gezielte Förderung der Integration von Anfang an von besonderer Bedeutung. Dabei müssen die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Geflüchteten berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund plädieren die Verbände der freien Wohlfahrtspflege für die Erarbeitung eines ganzheitlichen, auf Nachhaltigkeit angelegten Integrationskonzepts von Anfang an, unter Beteiligung aller relevanten zivilgesellschaftlichen Akteure mit ihren Erfahrungen. Das Integrationskonzept muss nach unserem Verständnis die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen (Aufnahmeprogramme), die Förderung des Familiennachzugs, die Sprach- und Bildungsförderung, die Förderung der nachhaltigen Integration auch in den qualifizierten Arbeitsmarkt, die Flüchtlingsunterbringung und Wohnraum, die gesundheitliche Versorgung und die Integration ins Gemeinwesen umfassen.

Im Koalitionsvertrag werden das humanitäre Engagement und die vielen Initiativen begrüßt, die Bereitschaft zeigen, Geflüchtete aufzunehmen – von den griechischen Inseln, die Menschen, die aus Seenot gerettet wurden oder die in Flüchtlingslagern vor den Toren Europas ausharren. Im Einvernehmen mit dem Bund soll ein entsprechendes Landesaufnahmeprogramm umgesetzt werden. Die Kommunen sollen mehr Möglichkeiten erhalten, um Menschen in Notsituationen aufzunehmen. Weiter wollen sich die Koalitionspartner auf Bundesebene um die Genehmigung für ein weiteres Sonderkontingent für besonders schutzbedürftige Personen bemühen, insbesondere für Frauen und Kinder, die Opfer traumatisierender Gewalt durch den IS geworden sind.

Die Absichten entsprechen dem, wofür sich die Liga bereits mehrfach öffentlich wie auch in Gesprächen mit dem Innenministerium eingesetzt hat. Kritisch anzumerken ist, dass der Bezug auf das Einvernehmen mit dem Bund die Umsetzung verzögern bis unmöglich machen kann.

Grundlegend geht es hier um Solidarität, die Leistungsstarke zum Teilen verpflichtet – nicht nur hierzulande, sondern auch auf europäischer Ebene. Zivilgesellschaftliche Akteure und Ressourcen werden wahrgenommen und gewürdigt. Der Orientierung an Menschenrechten und dem Gedanken sozialer Gerechtigkeit (auch im europäischen Kontext) wird Rechnung getragen. Besonders vulnerable Gruppen (auch außerhalb Baden-Württembergs und Deutschlands) sind im Blick.

Aus der Perspektive der Liga ist die schnelle Verteilung aller Asylbewerber*innen auf die Gemeinden von besonderer Bedeutung. Große Gemeinschaftsunterkünfte verhindern Integration. Positiv bewerten wir daher, dass Flüchtlinge rasch in die Kommunen verteilt werden sollen, ebenso dass Kinder und ihre Eltern maximal sechs Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung (EA) bleiben sollen. Gleichwohl bleibt die lange Verweildauer von Menschen, die direkt aus der EA rückgeführt werden sollen, ein drängendes Problem, das durch die angekündigten tagesstrukturierenden Angebote nicht gelöst wird. Menschen, die nicht zeitnah rückgeführt werden können, sollten u.E. ebenfalls in die Stadt- und Landkreise verlegt werden.
Die Ankündigung im Koalitionsvertrag, die unabhängige Verfahrens- und Sozialberatung (uVSB) in freier Trägerschaft in den EAs auszubauen, bestätigt das hier geleistete Engagement der Ligaverbände. Wir sind gerne bereit, unsere Expertise bei der dringend notwendigen Erarbeitung einer Musterhausordnung für die EAs einzubringen.1

Wir begrüßen die im Koalitionsvertrag angekündigten Konzepte für Geflüchtete mit besonderem Schutzbedarf in den EAs. Die Gewaltschutzkoordinatorinnen haben hierzu bereits Konzepte erarbeitet, die umgesetzt werden sollten. Ein Gewaltschutzkonzept muss sich an den Standards des UNHCR orientieren und auch regelmäßige Schulungen aller Akteure der EA beinhalten. Dazu braucht es vor Ort Verantwortliche, die ein Gewaltschutzkonzept konkret umsetzen und immer wieder aktualisieren. Der Schutzbedarf muss bereits bei der Aufnahme identifiziert werden.

1 Koalitionsvertrag, S. 83

Der Koalitionsvertrag sieht vor, integrative Unterbringungs- und Wohnkonzepte zu erarbeiten, um Geflüchtete so schnell wie möglich dezentral unterzubringen. Dezentrale Wohnformen tragen zur schnelleren Integration bei. Geflüchtete sollen so schnell wie möglich Zugang zu Ausbildung und Arbeit und zu einer guten Wohnsituation bekommen.2

Die Liga vertritt die Haltung, dass sprachliche, schulische und berufliche Integration eng mit der Wohnsituation verbunden ist. Große Gemeinschaftsunterkünfte mit vielen Menschen auf engstem Raum ohne Rückzugsmöglichkeiten und mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen erschweren massiv eine erfolgreiche Integration. Die Liga hält es für erforderlich, verbindliche Qualitätsstandards für gute integrative Flüchtlingsunterbringungskonzepte für die Stadt- und Landkreise und die kommunale Ebene zu entwickeln. Im Rahmen der Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung durch das Land, soll die Umsetzung entsprechender Konzepte gezielt gefördert werden. Für die Entwicklung entsprechender Standards soll eine Expertenkommission eingerichtet werden, in der die wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteure (u.a. Liga, Kirchen, Flüchtlingsrat, Arbeitgeber, Gewerkschaften, der Bildungsbereich) mit vertreten sind. Die entsprechenden Vorgaben sind in einer Überarbeitung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (FlüAG) zu verankern. Im Vordergrund muss dabei die Förderung der Integration sowie die Entwicklung städtebaulicher Konzepte stehen.

2 Dito

Der Koalitionsvertrag sieht die Etablierung einer qualitativ hochwertigen, unabhängigen Flüchtlingsberatung bzw. Flüchtlingssozialarbeit für Flüchtlinge vor, die auf die Stadt- und Landkreise sowie Gemeinden verteilt sind. Diese soll auch durch freie, gemeinnützige Träger in einem sozialräumlichen Ansatz, unabhängig der Unterbringungsebene erbracht werden. Sie orientiert sich an den Qualitätsstandards, die im Flüchtlingsaufnahmegesetz, seiner Durchführungsverordnung und den Qualitätsstandards der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderinnen und Zuwanderer (MBE) sowie der Jugendmigrationsdienste (JMD) festgelegt sind. Der Pakt für Integration mit den Kommunen wird angepasst und unter veränderten Rahmenbedingungen fortgeführt. Das soll die Struktur des Integrationsmanagements weiter stärken und optimieren.3

Die Etablierung einer „qualitativ hochwertigen, unabhängigen Flüchtlingsberatung bzw. Flüchtlingssozialarbeit“ begrüßen wir grundsätzlich. Zur Sicherung der Qualitätsstandards und des Subsidiaritätsprinzips halten die Liga-Verbände es für erforderlich, die Flüchtlingssozialarbeit gesetzlich bzw. durch die DVO FlüAG zu regeln und zwingend auf freie gemeinnützige Träger zu übertragen. Das „Integrationsmanagement“ mit seinem Schwerpunkt auf Begleitung und Unterstützung der Flüchtlinge könnte somit sinnvoll in diese sozialräumlich optimierte Struktur überführt werden.

Das neue Konzept sollte von einer Experten*innen-Arbeitsgruppe vorbereitet werden, in das die Liga ihre langjährigen Erfahrungen und Kompetenzen einbringen kann.

Ergänzend bieten wir nachdrücklich unsere Mitwirkung bei der Ausgestaltung des genannten landesweiten Netzwerks „Integration“ an.

3 Dito

Wie im Grundgesetz (Art. 6) verankert, stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, weshalb die Sorge um die Familieneinheit eine humanitäre Verpflichtung ist.

So begrüßt der Fachausschuss Migration die im Koalitionsvertrag angekündigte Absicht, Verbesserungen herbeizuführen. Gleichwohl greift die angekündigte Regel nur für Geschwisternachzug Minderjähriger zu kurz. Gerade volljährig gewordene Kinder gehören nach wie vor zur Familie und müssen die Möglichkeit zum Geschwisternachzug erhalten. Grundsätzlich ist es erforderlich, in den Verwaltungsvorschriften, die Verfahren zum Familiennachzug zu allen anerkannten Flüchtlingen und Personen mit subsidiärem Schutzstatus zu vereinfachen und deutlich zu beschleunigen. Generell sollte durch Erlass geregelt werden, dass die Ausländerbehörden des Landes auf Antrag der Geflüchteten, diese dabei unterstützen, ihre Familienangehörigen nachholen zu können, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen wohlwollend vorprüfen und zur Beschleunigung der Visumserteilung Vorabstimmungen erteilen. An den Nachweis der Lebensunterhaltssicherung und von Wohnraum, soweit davon gesetzlich nicht sowieso schon zwingend abzusehen ist, dürfen hier keine unerfüllbaren Anforderungen gestellt werden. Bemühungen zur Integration sollten auch in diesem Bereich konsequent belohnt werden.

 

Der Liga-Ausschuss Migration begrüßt diese sehr konkreten Vorgaben im Koalitionsvertrag, die Vorbilder in anderen Bundesländern haben (z.B. Anwendungshinweise des Ministeriums für Kinder, Familien, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen zu § 25b AufenthG vom 19.03.2021 und Erlass des MKFFI NRW zur Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung (§§ 60c, d AufenthG) vom 28.5.2021) und fordert deren konsequente Umsetzung. Die gesetzlichen Regelungen auf Bundesebene enthalten viele Spielräume im Rahmen der Anwendung der Bleiberechtsregelungen (§§ 25a und 25b AufenthG) aber auch anderer Regelungen zur Erteilung eines rechtmäßigen Aufenthaltes, die konsequent genutzt werden können, um Integrationsleistungen zu belohnen und großzügig Aufenthalte legalisieren zu können.
Wenn über die Anforderungen des §§ 25a/25b AufenthG hinausgehende Integrationsleistungen erbracht wurden, sollten die notwendigen Voraufenthaltszeiten (mit Gestattung oder Duldung) großzügig um mindestens 3 Jahre verkürzt werden können. Neben der beruflichen Integration sind u.a. auch der Erwerb von Deutschkenntnissen, Bildungserfolge, Qualifizierungen, ehrenamtliches Engagement mit zu berücksichtigen. Bei einer bereits stattgefundenen „Verwurzelung“ in Deutschland und einer fluchtbedingt stattgefunden „Entwurzelung“ vom Herkunftsland, kommt alternativ auch die Gewährung eines humanitären Aufenthalts nach § 25 Abs. 4 AufenthG in Betracht.

Über die Gewährung eines rechtmäßigen Aufenthaltes im Anschluss an ein negativ abgeschlossenes Asylverfahren sollen die örtlichen Ausländerbehörden entscheiden, ohne dass es einer Zustimmung des Regierungspräsidiums bedarf. Das Verfahren muss in transparenten Anwendungshinweisen geregelt werden, die den Ausländerbehörden die Spielräume eröffnen. Mit dem Abschluss des Asylverfahrens erhalten die möglicherweise begünstigten Personengruppen die Möglichkeit, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Während der Antrag geprüft wird, wird die Abschiebung zunächst ausgesetzt. Erfüllen die konkreten Personen die Integrationsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltes, erhalten sie eine Zusicherung, dass ihnen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, sobald die ggf. noch erforderlichen Identitätsnachweise etc. beschafft wurde oder glaubhaft gemacht wurde, dass diese in zumutbarer Weise nicht zu beschaffen sind, wenn die Identität in anderer Weise glaubhaft ist. Sofern dem Antrag nicht entsprochen werden kann, wird dies den Antragsstellern mitgeteilt. Bevor eine Abschiebung eingeleitet werden kann, muss zunächst eine freiwillige Ausreise ermöglicht werden. Abschiebungen dürfen erst dann erfolgen, wenn diese nochmals angedroht wurden; hierdurch werden überraschende Abschiebungen durch ein transparentes Verfahren ausgeschlossen.

Im Rahmen der Anwendungshinweise muss ebenso sichergestellt werden, dass die anderen Spielräume im Gesetz genutzt werden, um bei abgelehnten Asylbewerber*innen ein Aufenthaltsrecht oder zumindest eine Duldung erteilen zu können. Sofern abgelehnte Asylbewerber*innen die Voraussetzungen erfüllen, um eine Ausbildungsduldung oder Beschäftigungsduldung zu erhalten, aber die Wartezeiten noch nicht erreicht sind, muss sichergestellt sein, dass diese Personen solange eine Duldung erhalten, um diese Zeitspanne zu überbrücken. Auch hier gilt es Integrationsbemühungen konsequent zu belohnen und faire, transparente Verfahrensregelungen zu treffen, damit überraschende Abschiebungen ausgeschlossen sind. Wichtig sind auch verschiedene Regelungen wie sie z.B. in NRW erlassen wurden, um keine unerfüllbaren Anforderungen zu stellen, um in die Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung kommen zu können. Gleichzeitig sollte die Zuständigkeit zur Entscheidung der Erteilung einer Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung auf die örtliche Ausländerbehörde übertragen werden. Diese kann das Vorliegen der Integrationsbemühungen und die weiteren Perspektiven aus eigener Anschauung besser beurteilen als das bisher zentral zuständige Regierungspräsidium.

In Fällen, in denen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung oder der Erwerbstätigkeit vorliegen und ein Schutzgesuch nicht von vorneherein aussichtlos ist, sollte auf die Nachholung eines Visumsverfahrens generell verzichtet werden und nicht nur eine Duldung, sondern eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.

Die notwendigen Regelungen sollten aus Sicht der Liga in Zusammenarbeit mit einer Expertenkommission erarbeitet werden, in der die wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteure (u.a. Liga, Kirchen Flüchtlingsrat, Arbeitgeber, Gewerkschaften, der Bildungsbereich) mit ihrem Sachverstand mit vertreten sind.

Der Fachausschuss Migration begrüßt die im Koalitionsvertrag ausgedrückte Wertschätzung und Bedeutung der Härtefallkommission als Gnadeninstanz und humanitäres Instrument, um geduldeten Menschen zu einem Bleiberecht zu verhelfen. Der Koalitionsvertrag setzt eine von den Ligaverbänden oft vorgetragene Forderung um, wenn es heißt, dass in der Regel die Empfehlungen der Härtefallkommission vom Ministerium umgesetzt werden sollen, und dass als alleinige Entscheidungsgrundlage die Härtefallkommissionsverordnung gelten soll. Aussagen wie: „Wir wollen geduldeten Menschen zu einem Bleiberecht verhelfen. Das ist unser klares Ziel, das wir auch an die Ausländerbehörden kommunizieren. Geduldete Personen werden aktiv über konkret bestehende Bleiberechtsoptionen informiert – und zwar bevor eine Abschiebung droht“, verpflichten zu einer am Menschen orientierten Politik zum Schutz und zur Aufnahme von Geflüchteten.4

4 Koalitionsvertrag, S. 85

Die Liga begrüßt die konkreten Vorgaben, um eine rechtsstaatliche, faire und humanitär verantwortliche Rückkehr- und Abschiebepraxis zu gewährleisten. Auch wenn Asylsuchende am Ende des Verfahrens aufgrund der hohen Anforderungen an eine Schutzgewährung keinen Schutzstatus erhalten, bedeutet dies nicht unbedingt, dass bei Rückkehr keine Gefährdung vorliegt; dies gilt insbesondere bei Asylsuchenden aus Kriegs- und Bürgerkriegsregionen oder Staaten, in denen schwere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind oder Minderheiten ausgegrenzt und verfolgt werden. Soweit über die Bleiberechtsregelungen oder die Härtefallkommission oder die anderen Regelungen (Ausbildungsduldung, Beschäftigungsduldung) kein Bleiberecht gewährt wird, kann am Ende eines negativen Asylverfahrens auch die Ausreisepflicht stehen. In diesen Fällen muss der „freiwilligen“ Rückkehr in Würde Priorität eingeräumt werden. Die Rückkehrberatung sollte wie auch die Flüchtlingsberatung in allen Stadt- und Landkreisen von behördenunabhängigen freien, gemeinnützigen Trägern durchgeführt werden. Transparente Leitlinien für die Rückkehr- und Abschiebungspraxis müssen sicherstellen, dass sich die Betroffenen darauf verlassen können, dass keine überraschenden Abschiebungen erfolgen, während Anträge auf ein Bleiberecht, Folgeanträge oder ähnliches geprüft werden und im Falle einer negativen Entscheidung, immer noch die Möglichkeit besteht, „freiwillig“ auszureisen, bevor die Abschiebung eingeleitet wird. Die notwendigen Regelungen sollten aus Sicht der Liga in Zusammenarbeit mit einer Expertenkommission erarbeitet werden, in der die wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteure mit ihrem Sachverstand vertreten sind.

Der Koalitionsvertrag bekräftigt, dass Abschiebehaft ausschließlich die Ultima Ratio sein darf.  Minderjährige werden in Baden-Württemberg nicht in Abschiebehaft genommen. Unter Federführung des*der Bürgerbeauftragten soll ein Runder Tisch „Abschiebehaft“ eingerichtet werden. Der Aufbau ehrenamtlicher Strukturen soll ermöglicht werden. Die Sozial- und Verfahrensberatung soll an unabhängige und gemeinnützige Träger übertragen werden. Haupt- und Ehrenamtlichen sowie die Seelsorge erhalten eigene Räumlichkeiten.5

Abschiebehaft wird viel zu häufig, viel zu schnell verhängt. In vielen Fällen ist Abschiebungshaft unverhältnismäßig. Wenn die Landespolitik den Ultima-Ratio-Gedanken ernst nimmt und Abschiebungshaft auf Fälle beschränkt, in denen ausreisepflichtige Ausländer*innen tatsächlich untergetaucht sind und zu befürchten ist, dass sie sich erneut der Abschiebung durch Untertauchen entziehen, wird es in Baden-Württemberg nur noch in relativ wenigen Fällen zu Abschiebungshaft kommen.

Der Koalitionsvertrag greift Forderungen der Liga der freien Wohlfahrtspflege und der Kirchen auf, um eine behördenunabhängige Beratung sicherzustellen und den Zugang der Abschiebehäftlinge zu den Seelsorger*innen ihrer Wahl zu gewährleisten. Die Beratungs- und Unterstützungsangebote von Ehrenamtlichen helfen mit, einen menschenwürdigen Haftvollzug und einen effektiven Zugang zum Flüchtlingsschutz zu gewährleisten. Die Verbände der Wohlfahrtspflege und Kirchen sind gerne bereit, zusammen mit dem zuständigen Ministerium, die Verbesserungen für die Abschiebehafteinrichtung schnellstmöglich umzusetzen.

5 Dito

Nach dem Koalitionsvertrag sollen Leistungen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge besser an den Bedarfen ausgestaltet werden, Übergänge bei jungen Erwachsenen (ehemalige UMF) sollen verbessert werden.6

Die Liga begrüßt diese konkreten Vorgaben. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF/UMA) müssen eng durch die Angebote der Jugendhilfe und die unabhängige Flüchtlingsberatung unterstützt und begleitet werden. Wichtig ist, dass in allen Stadt- und Landkreisen sichergestellt ist, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sofort einen Vormund erhalten, der diese allein in ihrem Interesse unterstützt, begleitet und vertritt (Amtsvormundschaften sind zu vermeiden). Die Möglichkeiten, UMA in Pflegefamilien unterzubringen, sollten verstärkt gefördert werden. Für junge Volljährige sollten gezielt die Instrumente der Hilfe für junge Volljährige genutzt werden, um deren Integration in die Gesellschaft zu fördern (z.B. durch betreute Wohngemeinschaften u.ä.).

6 Koalitionsvertrag, S. 84

Als Träger der Sozialen Arbeit begrüßen wir die beschriebene „Fachkräfteoffensive für Sozial- und Gesundheitsberufe“7 sehr, weisen aber auch nachdrücklich darauf hin, dass bei der Anwerbung und Ausbildung von Fachkräften aus dem Ausland ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden muss.
Die eigene Arbeitskraft ist für viele Menschen ein zentraler Aspekt der Identität. Der bewusst gewählte Beruf und die damit verbundene Tätigkeit werden mit dem eigenen Selbstwert verknüpft und begleiten uns lange Zeit in unserem Leben. Im Idealfall erfahren wir Anerkennung für das, was wir tun und sehen auch für uns selbst einen Sinn in unserer Tätigkeit. Wir werden durch unsere Arbeit Teil eines gesellschaftlichen Systems, das sich gegenseitig stützt und bedingt.
Der Diskurs zum Thema Fachkräfteeinwanderung, wie wir ihn seit Anfang der 2000er Jahre erleben, nimmt dabei vor allem die Bedürfnisse des deutschen Arbeitsmarktes und das gesellschaftliche Gesamtsystem in den Blick, für dessen Aufrechterhaltung die vorhandene Arbeitskraft nicht mehr ausreichend ist. Der Fokus liegt dabei auf der formalen Steuerung der Zugangswege. Dabei sollte jedoch der vielzitierte Satz von Max Frisch „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“ nicht in Vergessenheit geraten. Für neu ankommende, aber auch für bereits hier lebende Menschen aus dem Ausland, müssen für ihre Integration in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft Zugangsmöglichkeiten für eine gleichberechtigte Teilhabe vorhanden sein.

7 Koalitionsvertrag, S. 76

Um in der Arbeitswelt und der Gesellschaft einen individuellen Platz finden zu können, muss es den Menschen möglich sein, ihre erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten einsetzen zu können. Für zugewanderte Menschen, die ihre berufliche Qualifikation im Ausland erworben haben, ist es daher unabdingbar, eine faire Chance auf die Anerkennung ihres Abschlusses zu erhalten. Zentraler Bestandteil dieser Möglichkeit sind das Bundes- und das Landesanerkennungsgesetz. Eine wichtige Rolle spielen außerdem eine diversitätsorientierte Öffnung von öffentlichen Stellen und Arbeitgebern sowie eine ausreichende personelle Ausstattung der anerkennenden Stellen.

Menschen mit ausländischen Berufsqualifikationen ist ein zeitnaher, qualifizierter Eintritt in den Arbeitsmarkt nur dann möglich, wenn die Zuständigkeiten der anerkennenden Stellen klar definiert sind und diese über ausreichende Kapazitäten verfügen, um die gesetzlich vorgesehenen Bearbeitungsfristen einzuhalten. Personelle Engpässe bei den anerkennenden Stellen verzögern die Antragsbearbeitung und damit den Einstieg in den Arbeitsmarkt für Arbeitsuchende, gleichzeitig erschweren sie die Personalplanung für Arbeitgeber. Daher begrüßen wir das im Koalitionsvertrag beschriebene Vorhaben, im Rahmen der Fachkräfteoffensive für Sozial- und Gesundheitsberufe, die Anerkennungsprozesse zu beschleunigen, weisen aber auch darauf hin, dass dies nur dann funktionieren kann, wenn Strukturen und personelle Ressourcen bei den anerkennenden Stellen der Regierungspräsidien durchgängig und ausreichend vorhanden sind.8

8 Dito

Eine „Evaluierung des Gesetzes über die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen in Baden-Württemberg“ des IWAK hat ergeben, dass die vorhandenen Beratungsstrukturen positive Auswirkungen auf die Anzahl der Antragsstellungen, die Dauer der Verfahren sowie auf die Erfolgsquote haben.9 Die bei Trägern der freien Wohlfahrtspflege angesiedelten Beratungszentren, tragen durch ihren niedrigschwelligen Zugang und durch die gute Vernetzung mit anderen Zweigen der Migrationssozialarbeit dazu bei, dass mehr Personen einen Zugang zum Anerkennungsverfahren finden und zur Antragsstellung motiviert werden. Gleichzeitig erfüllen sie eine ‚Filterfunktion‘ und können im Vorfeld bei der Vorbereitung des Antrags unterstützen oder bei Bedarf zu Alternativen beraten. Dadurch können sich Bearbeitungszeiten bei den anerkennenden Stellen verkürzen und Erfolgsquoten erhöhen.

Die Beratungszentren der Träger der freien Wohlfahrtspflege haben in den letzten zehn Jahren ein tiefgehendes Wissen und eine Fachexpertise erworben und können einen niedrigschwelligen Zugang gewährleisten. Dies darf nicht durch eine zukünftig gänzliche Verstetigung der Beratungstätigkeit bei der Arbeitsmarktverwaltung verloren gehen. Um Personen mit im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen auch weiterhin den Weg zu und durch ein komplexes und zum Teil langwieriges Verfahren zu ermöglichen, steht die Liga der freien Wohlfahrtspflege zur Verfügung, um bei der im Koalitionsvertrag erwähnten Verstetigung und Weiterentwicklung der Beratungsstrukturen strategisch mitzuwirken.10

9 Vgl. Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur – Zentrum der Goethe-Universität Frankfurt am Main (2019): Evaluierung des Gesetzes über die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen in Baden-Württemberg. Berlin, Frankfurt. S. 18
10 Koalitionsvertrag, S. 84

Die Welcome Center sind Netzwerk-Profis und führen wichtige Informationsquellen und Ansprechpartner für neue Bürger*innen zusammen, um ihnen einen idealen Überblick über die ersten Schritte in ihrer neuen Heimat zu geben.
Das „Welcome Center Sozialwirtschaft (WCSW)“ mit seiner überregionalen Zuständigkeit ist dabei im Rahmen der Fachkräftegewinnung im Sozial- und Gesundheitsbereich ein zentraler Partner. So steht es Arbeitgebern bei Fragen zur Fachkräftefindung, des Onboardings und der Bindung beratend zur Seite. Angeworbene Fachkräfte dürfen dabei nicht nur mit ihrer Arbeitskraft wahrgenommen werden, sondern sollten in allen Aspekten ihres Lebens Unterstützung und die Möglichkeit des Ankommens erfahren können. Somit sind eine entsprechende Vorbereitung und Begleitung durch die Arbeitgeber ein essenzieller Aspekt der langfristigen Bindung an ein Unternehmen und der Verfestigung des neuen Lebensmittelpunkts der betreffenden Personen. Das WCSW erbringt hierbei einen wichtigen Beitrag, indem es den Unternehmen beratend zur Seite steht.

Die im Koalitionsvertrag versprochene verlässliche Förderung und der angestrebte Ausbau des WCSW begrüßen wir sehr, da wir beides als notwendig erachten, um auch perspektivisch dem Bedarf gerecht werden zu können.11 Wir sehen dies als unabdingbar an, um die Integration von Fachkräften mit ausländischen Berufsqualifikationen im Rahmen einer Fachkräfteoffensive für Sozial- und Gesundheitsberufe langfristig und nachhaltig gestalten zu können.12

11 Koalitionsvertrag, S. 82
12 Koalitionsvertrag, S. 76

Gemäß den Planungen, die im Koalitionsvertrag festgehalten sind, soll ein rascher und effizienter Aufbau eines psychosozialen Versorgungssystems für traumatisierte Flüchtlinge erfolgen.13 Das System soll einen schnellen und niedrigschwelligen Zugang zu Hilfsangeboten ermöglichen. Damit möchte die Landesregierung die Teilhabechancen von Flüchtlingen in der Gesellschaft erhöhen. Die Liga der freien Wohlfahrtspflege begrüßt die Planungen sehr und hofft auf eine schnelle und unbürokratische Umsetzung der geplanten „landesweiten Versorgungsstruktur“, welche eine bedarfsgerechte Versorgung inklusive Therapie-, Dolmetscher- und Fahrtkosten vorsieht. Behandlungskosten sollen unkompliziert und vollständig erstattet werden.
Hierbei sollten unbedingt die Strukturen der Flüchtlingssozialarbeit der Wohlfahrtsverbände sowie die fachliche Expertise der Mitarbeitenden in der Sozial- und Verfahrensberatung in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen, der Flüchtlingssozialarbeiter*innen in den Gemeinschaftsunterkünften in der vorläufigen Unterbringung und der Integrationsmanager*innen in der Anschlussunterbringungen genutzt werden, um diese Strukturen nah am Menschen zu gestalten. Wir als Liga-Verbände bieten uns an, bereits in der Planung mit der Landesregierung zusammenzuarbeiten und unsere Kompetenzen und Netzwerke miteinfließen zu lassen. Außerdem bieten wir eine enge Vernetzung mit den Regeldiensten an. Im Rahmen dieser Netzwerkarbeit möchten wir auf eine grundsätzlich diversitätsorientierte Versorgung hinarbeiten.

13 Koalitionsvertrag, S. 85

Der Koalitionsvertrag sieht vor, Menschen ohne Krankenversicherung „unbürokratischen und schnellstmöglichen Zugang zu medizinischer Behandlung im Umfang des gesetzlichen Rahmens zu verschaffen“.14 Dies soll insbesondere für Personen ohne Aufenthaltsstatus gelten.
Die Liga stellt fest, dass das Recht auf Gesundheit ein Menschenrecht ist, das für alle Menschen gilt, unabhängig von ihren je spezifischen Lebenssituationen – auch von ihrem Aufenthaltsstatus.15 Auch die bundesdeutsche Verfassung sieht einen Anspruch ohne Einschränkungen auf medizinische Grundversorgung mit der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit vor.16
De facto ist der ungehinderte Zugang zur medizinischen Versorgung insbesondere für Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität – aus Furcht vor Offenlegung ihres Aufenthaltsstatus – durch verschiedene Rechtsgrundlagen versperrt. Deshalb sieht die Liga einen dringenden Handlungsbedarf in der Trennung von Sozial- und Ordnungspolitik. Für die medizinische Versorgung bedeutet dies die Abschaffung der Übermittlungspflicht § 87 Aufenthaltsgesetz.17
Die Schaffung eines Gesundheitssystems in Baden-Württemberg, das alle Menschen einschließt – gleichgültig ob versichert, obdachlos, ohne Aufenthaltsstatus – heißt, den gesetzlichen Rahmen zu erweitern, Finanzierungen zu gewährleisten und Strukturen effizient und unbürokratisch auszubauen.

14 Koalitionsvertrag, S. 85
15 Das Recht auf Gesundheitsschutz ist in Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz, Artikel 35 EU-Grundrechtecharta, Artikel 12 Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie Artikel 24 UN-Kinderrechtskonvention verankert.
16 GG Artikel 2
17 Vgl. Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität (BAG) Positionierung zu Clearingstellen, Stand 3/2020

Die Landesregierung möchte „das Thema kultursensible Pflege in der Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften stärken, um besser auf individuelle Belange der zu pflegenden Menschen eingehen zu können.“18 Außerdem sollen Pflegeeinrichtungen für das Qualitätssiegel „Diversitycheck“ gewonnen werden.
Die Liga hat in ihrem Konzept „Visionen – Potentiale – Wirkungen. Die Zukunft der Migrationsgesellschaft gestalten“ ausführlich Stellung zum Thema Diversität genommen. Der Ansatz der Kultursensibilität wird dort in Frage gestellt, da der Fokus auf dem „Kulturellen“ die Dichotomie zwischen dem „Wir und den „Anderen verfestigt. Der Blick auf „das Andere“ im Diversitätsansatz stärkt „Othering-Prozesse“, in denen auf die Unterschiede der Menschen rekurriert wird und durch Abgrenzungsprozesse Ausgrenzen werden. Diese Betrachtungsweise wird unserer modernen heterogenen Gesellschaft nicht gerecht. Gleichberechtigung und Teilhabe bedeuten, den Blick auf das Gemeinsame und Verbindende zu richten. Deshalb sollte weniger die kulturelle Verfasstheit von Personen und Gruppen im Vordergrund stehen – auch nicht in der Pflege – sondern die Sensibilität gegenüber dem Menschen an sich in seiner Vielschichtigkeit. Eine sensible und auf die Spezifität eines jeden Menschen zugewandte Pflege erfordert jedoch ein hohes Maß an Zuwendung und damit an Zeit. Um Menschen in ihrer Diversität adäquat pflegen zu können, müssen die zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, exkludierende Rahmenbedingungen (Armut, Bildungsferne, Arbeitslosigkeit etc.) analysiert und beseitigt werden, um einen chancengerechten Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Pflege zu ermöglichen.

18 Koalitionsvertrag, S. 75

Der Liga-Ausschuss Migration begrüßt die beschriebenen Grundüberlegungen und Maßnahmen zur oben genannten Thematik.19 Wir möchten gerne hervorheben, dass unsere Gesellschaft einem Wandel unterlegen ist. Im Kontext von Diversität ist es unerlässlich, diese Entwicklung in alle Grundüberlegungen miteinzubeziehen und einer Gegenüberstellung von „Wir“ und dem „Anderen“ entgegenzutreten. Die Basis zu unserem Verständnis von Teilhabe bildet unsere demokratisch-freiheitliche Grundordnung. Wir unterstützen einen offenen und wertschätzenden Diskurs von Werten mit allen Gesellschaftsmitgliedern, damit diese als Konsens in der Gesamtbevölkerung entstehen können. Hierbei sollte der Blick immer auf die Gesamtgesellschaft gerichtet sein, um Ungleichheit, Rassismus und Ausgrenzung zu erkennen, wo immer diese auftreten. Der Liga-Ausschuss Migration bietet seine Mitwirkung am Landesaktionsplan gegen Rassismus und Diskriminierung an und möchte bei allen Maßnahmen unterstützen, eine offene Gesellschaft in Baden-Württemberg weiter voranzutreiben. Wir begrüßen, entschieden gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Hatespeech und Hasskriminalität vorzugehen.
Gender-Vielfalt sollte stets in einen Gesamtdiskurs zum Thema Diversität eingebettet sein. Hierbei ist es wichtig, Schnittstellen zu allen Maßnahmen des Landes zu etablieren, die zu einer toleranten, gleichberechtigten und offenen Gesellschaft beitragen.
Gewaltschutzkonzepte für besonders vulnerable Gruppen und Menschenhandel, Zwangsprostitution, Ausbeutung im Rahmen illegaler Einwanderung sind wichtige Themen, denen nach wie vor Beachtung geschenkt werden muss.

19 Koalitionsvertrag, S. 87-89

Der Liga-Ausschuss Migration begrüßt die Vorhaben der Koalitionspartner zur Förderung eines gleichberechtigten, diskriminierungsfreien Miteinanders im Land.
Die Liga fordert ihre Mitwirkung zur Erarbeitung eines Landesaktionsplans gegen Rassismus und Diskriminierung.20
Der Schwerpunkt des politischen Engagements der Liga liegt traditionell im Monitoring und Sichtbarmachen diskriminierender gesetzlicher Vorgaben, Strukturen und Praktiken im Land. Als Akteure der Zivilgesellschaft tragen die Verbände mit ihren Kompetenzen und flächendeckenden Strukturen zur Umsetzung konkreter Maßnahmen bei.
Den Aufruf für ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) hat die Liga unterschrieben und arbeitet bei der Ausarbeitung der konkreten Inhalte gerne mit.
Wir informieren Ratsuchende über die entsprechenden Ansprechpartner und Strukturen im Land. Zum Umgang mit Rassismuserfahrungen der Ratsuchenden sensibilisieren wir unsere Mitarbeitenden.
In einem LADG müssen Diskriminierungsmerkmale breiter als im AGG definiert werden. Ebenso muss eine Regelung für Entschädigungen und Schadensersatz geschaffen werden.

20 Diskriminierung sehen wir als eine Ungleichbehandlung von Menschen(gruppen), deren Merkmale Benachteiligung, Herabwürdigung, Exklusion oder gar Vernichtung sind. Sie kann absichtlich oder unbewusst sein und knüpft an ein äußeres Merkmal eines Menschen und/oder eine Zuschreibung für einen Menschen und konstruiert dieses Merkmal/diese Zuschreibung identitär. (Vgl. Scherr, Albert (2011): Was meint Diskriminierung? Warum es nicht genügt, sich mit Vorurteilen auseinander zu setzen. In: Sozial Extra 11/12 2011, S. 34-38)

Aus Sicht der Liga kann gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht entstehen, wenn nicht alle Gesellschaftsmitglieder sich zugehörig und anerkannt fühlen, und das Gefühl haben, dass sie mit ihrem Handeln auf ihre Situation und auf ihre Lebensumgebung Einfluss nehmen können. Die Grundlage für den Zusammenhalt ist die Anerkennung der gesellschaftlichen Vielfalt. Die Werte und Regeln des Zusammenlebens werden in der Solidargemeinschaft in einem Diskurs gleichberechtigter Partner ausgehandelt.  Selbstredend ist, dass die demokratisch-freiheitliche Grundordnung in Deutschland die Basis für die gesellschaftliche Teilhabe bildet.
Die Liga begrüßt die im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Hasskriminalität und Hatespeech im Bereich der Schule und Sicherheitsbehörden, vermisst jedoch im Gesamtplan die Sensibilisierung und den Wertediskurs mit der Bevölkerung. Die Strafverfolgung von Hass und Hetze sind ausgesprochen wichtig, denn diese untergraben die Demokratie in vielfältiger Weise. Durch Hetze gegen und Bedrohungen von Journalisten, politisch Engagierten und allen, die anders denken, wird Angst geschürt, die das Feld den Hass Schürenden überlässt. Dies dürfen wir als Gesellschaft auf keinen Fall zulassen.
Die Liga spricht sich für ein Aktionsbündnis für Solidarität und Demokratie („Hatefree Zone“) aus, in dem gemeinsame Diskurse stattfinden, gemeinsame Aktionen entwickelt werden und an dem sich möglichst viele staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure beteiligen.

Wir begrüßen die Pläne, direkte Demokratie und dialogische Bürgerbeteiligung zu verzahnen.21 Dabei muss aus Sicht des Liga Fachausschusses Migration ein niedrigschwelliger und breiter Zugang sichergestellt werden, damit alle in Baden-Württemberg lebenden Menschen einen Zugang erhalten und nicht aufgrund von Zugangsschwierigkeiten (Sprache, Technik etc.) von vornherein außen vor bleiben. Ebenso gilt es bei allen von der Landesregierung genannten Vorhaben zur Bürgerbeteiligung inklusiv vorzugehen und auf leichte Sprache zu setzen.
Insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung der Verwaltungskultur sind Fortbildungen in den Bereichen Antirassismus und Diversity erforderlich. Weiter muss nach Ansicht der Liga die interkulturelle Öffnung fokussierter und systematischer angegangen werden, hier fehlt der Landesregierung die Zukunftsvision.
Der Ausbau der bürgerfreundlichen Kommunikation mithilfe digitaler Technik darf nicht zur Folge haben, dass Bevölkerungsgruppen außen vor bleiben. Hier plädiert die Liga für niedrigschwellige, mehrsprachige, inklusive Lösungen, die die Bedürfnisse und Belange aller Menschen im Blick haben. Gleiches gilt für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, welche inklusiv und an antirassistischen Grundsätzen orientiert sein sollte.
Wir begrüßen das Ansinnen, Baden-Württemberg als Ehrenamtsland zu stärken. Die Wertschätzung für freiwillig Engagierte darf sich jedoch nicht nur in symbolischer Anerkennung ausdrücken, sondern muss von der Landesregierung mitfinanziert werden. Insbesondere im Flucht- und Migrationsbereich müssen Ehrenamtliche gestärkt werden. Eine höhere steuerfreie Aufwandspauschale befürworten wir ausdrücklich, sie darf jedoch keine regulären Arbeitsplätze ersetzen.

21 Koalitionsvertrag, S. 90-91

Migrantenselbstorganisationen spielen eine wichtige Rolle für die gelingende Integration in unserem Land. Als kompetente Ansprechpartner und lokale Akteur*innen mit der Möglichkeit der muttersprachlichen Ansprache bilden sie Schnittstellen zu Menschen mit Migrationshintergrund wie kaum andere kommunale Strukturen.
Allerdings verfügen nur sehr wenige Migrantenselbstorganisationen über professionalisierte Vereinsstrukturen. Die Förderung von Migrantenselbstorganisation wie sie im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, geht dem Liga Fachausschuss für Migration nicht weit genug.22 Migrantenorganisationen müssen systematisch gefördert und mit einer langfristigen institutionellen Grundförderung sowie angemessenen räumlichen und personellen Ressourcen ausgestattet werden.
Auch mit Blick auf das Vorhaben der Regierung, Baden-Württemberg als Ehrenamtsland zu etablieren, sowie Bürgerbeteiligung und Demokratiebildung zu stärken, dürfen Migrantenselbstorganisationen als Expert*innen für die Zielgruppe Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund, bei der Ausgestaltung der angekündigten Vorhaben nicht vergessen werde

22 Koalitionsvertrag, S. 84

[Ausschuss Migration]

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