
Die Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg nimmt wie folgt zum Entwurf des Gesetzes zur Errichtung einer Landespflegekammer Stellung:
Vorab und grundsätzlich:
Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege beschäftigten Pflegefachkräften in unterschiedlichen Sektoren und Hilfefeldern. Sie schätzen die fachliche Expertise, das besondere Engagement und wissen – gerade in diesen Zeiten – um die gesellschaftliche Bedeutung dieser Berufsgruppe. Dennoch sind die verbandlichen Diskussionen über den Mehrwert einer Landespflegekammer – auch unter Berufsangehörigen – noch nicht verstummt. Ebenso kritisch wird die repräsentative Befragung von lediglich etwa 2.700 der über 100.000 Pflegefachkräften und Auszubildenden bewertet, von denen sich dann 68 % für eine (weitgehend unbestimmt definierte) Pflegekammer aussprachen.
Die Liga der freien Wohlfahrtspflege bittet deshalb um eine besondere Sensibilität für die Zielsetzungen und Aufgaben einer Landespflegekammer. Der verständliche Wunsch der Berufsgruppe nach mehr Anerkennung und berufliche Selbstbestimmung darf nicht dazu führen, dass es zu Abwertungen von Kompetenzen anderer Berufsgruppen oder es zu berufspolitischen Einflussnahmen in unterschiedlichste Settings der Wohlfahrtspflege kommt. Geraten berufs- und wohlfahrtspolitische Anliegen in Konflikt, sind massive gesellschaftliche Auswirkungen zu befürchten.
Die Errichtung einer Landespflegekammer ersetzt nicht die bestehenden Verpflichtungen des Landes und der Politik, sich mit den kritischen Rahmenbedingungen in der Pflege, der Pflegequalität sowie der Personalbemessung auseinander zu setzen.
Mit dieser grundsätzlichen Wertschätzung und der Verantwortung für die Sicherstellung qualitativer Dienstleistungen in den unterschiedlichen Hilfeleistungen fokussiert sich die Stellungnahme der Liga der freien Wohlfahrtspflege zunächst auf grundlegende Anforderungen an eine Landespflegekammer, deren vorrangige Aufgaben und Verantwortlichkeiten.
- Zur notwendigen Definition der gesellschaftlichen Verantwortung
Wie in der Zielsetzung (vgl. Vorblatt) formuliert, dient die Landespflegekammer „der innerberuflichen demokratischen Willensbildung“ und „der politischen und gesellschaftlichen Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder“ (vgl. ebenda). Eine so definierte Ausrichtung stellt weder Gemeinwohl noch fachliche Expertise in den Vordergrund und lässt eindeutige Partikularinteressen eines Berufsstandes erwarten. Auch wenn dies offensichtlich implizit unterstellt wird, sollte die gesellschaftliche Verantwortung der Landespflegekammer im Gesetz und in der Begründung unmissverständlich ausgedrückt und definiert sein. - Zur Umsetzung von Vereinbarungen der EU-Beschäftigungs- und Bildungspolitik
Während sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) auf eine europäische Beschäftigungs- und Bildungspolitik verständigten und diese seit Jahren konsequent umsetzen (Beispiel: Pflegeberufereform), scheinen diese Zielsetzungen im vorliegenden Entwurf nur unzureichend und mindestens unklar berücksichtigt. Weder Ansprüche des Gesetzgebers über die Notwendigkeit der Kompetenzorientierung, zur Durchlässigkeit von Bildungsebenen, Berufen und Beschäftigungsfeldern noch über Modularisierungen und Anerkennungen von Kompetenzen sind der Landespflegekammer in diesem Entwurf prägnant vorgezeichnet. Damit entsteht das Bild, diese Berufsgruppe und ihre Selbstverwaltung könne klassisch agieren, sich an „Berufsabschlüssen“ orientieren und sei nicht (oder nur nachrangig) an europäische Vereinbarungen gebunden. - Zur Konzentration auf „Vorbehaltstätigkeiten“ der Pflegeberufe
Wenn als wichtige Zielsetzung der Landespflegekammer benannt ist, „ihr Berufsbild aktiv zu gestalten und weiterzuentwickeln“ (vgl. ebenda), sollten die Kompetenzen der Landespflegekammer im Gesetzesentwurf auch deutlicher darauf konzentriert werden. Das betrifft beispielsweise den aktuell eingeführten, wenn auch noch etwas unklaren Rechtsbegriff „Vorbehaltstätigkeiten“, der weniger eine Vorrangstellung dieser Berufsgruppe, sondern vor allem eine rechtswirksame Verantwortung der Pflegefachkräfte zum Ausdruck bringt. Auf dieser Basis muss im Gesetzentwurf klar unterschieden werden, wo berufsständische Verantwortung liegt und wo die Grenzen der berufspolitischen Vertretung erreicht oder sogar überschritten werden.
Beispielsweise setzen zwar viele Weiterbildungen für leitende Tätigkeiten in der Pflege eine pflegefachliche Ausbildung voraus, sind aber – bei genauer Betrachtung – deutlich mehr von organisations- und unternehmenspolitischen Anforderungen geprägt. Für die Verbände der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg ist es undenkbar, einer einzelnen Berufsgruppe (oder ihrer Selbstverwaltung) so weitreichende Befugnisse zum betrieblichen Management von Hilfefeldern zuzugestehen.
Es wird deshalb erwartet, dass die Aufgaben der Pflegekammer deutlich auf die Definition von „Vorbehaltstätigkeiten der Pflegefachkräfte“ und auf entsprechende Qualifizierungen in diesem Kontext beschränkt werden. Nur so können (langwierige) Auseinandersetzungen vermieden werden, wenn die Landespflegekammer Erlasse in Kraft setzt, deren Wirkung über die berufsständische Selbstverwaltung und hoheitliche Aufgaben zur Überwachung der Berufspflichten hinausgehen.
Das bedeutet, dass die Landespflegekammer nur für die Definition von Modulen ermächtigt werden darf, die durch die besondere fachliche Expertise (Ansatz „Vorbehaltstätigkeiten“) legitimiert sind. Für alle anderen Module (z. B. im Bereich Management, Kommunikation, Rechtliche Fragestellungen) dürfen keine Befugnisse erteilt werden. - Zur Sicherung der fachlichen und wissenschaftliche Expertise
Der Blick auf bereits installierte Landespflegekammern zeigt, dass nicht immer die fachliche und wissenschaftliche Expertise die Entscheidung der Kammermitglieder prägt. Den von den Entscheidungen betroffenen Organisationen der Wohlfahrtspflege ist nicht zuzumuten, die Folgen von fachlicher, organisations- oder sektoraler Unkenntnis oder Unerfahrenheit – ohne definierte Widerspruchsverfahren – akzeptieren zu müssen.
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Das derzeitige Verfahren zur Umsetzung der Pflegeberufereform verdeutlicht, wie persönliche Berufswege und -erfahrungen den Blick auf Erfordernisse von Sektoren (z. B. zur ambulanten oder stationären Langzeitpflege wie auch zur Akutpflege oder zu zielgruppenorientierten Ansätzen) prägen. Wenn hier einseitige Orientierungen der Kammermitglieder oder Vertreter*innen der Selbstverwaltung die Entscheidungsprozesse beeinflussen, werden Aufgaben zum Nachteil für Unternehmen der Wohlfahrtspflege gestaltet. Dem muss im Gesetz und darüber hinaus in den folgenden Organisationsstrukturen der Selbstverwaltung vorgebeugt werden. - Zur Reichweite von Erlassen und Entscheidungen
Bekanntlich sind Verträge zu Lasten Dritter mit den Grundsätzen der Privatautonomie nicht vereinbar. Vertragliche Drittbelastungen ohne Mitwirkung des Dritten sind somit regelmäßig nicht möglich, solange sie nicht begünstig sind. Insbesondere ist es nicht möglich, Dritte ohne ihre Mitwirkung zu einer Leistung zu verpflichten.
Die Schutzwirkung dieser Grundsätze muss auch für die Entscheidungen der Landespflegekammer gelten und ist entsprechend deutlich zu formulieren. Werden beispielsweise Anforderungen zu Fort- und Weiterbildungen definiert, müssen diese im Rahmen des beruflichen Ethos zunächst von den Mitgliedern des Berufsstandes selbst zu realisieren sein (beispielsweise im Rahmen einer „freiwilligen Selbstverpflichtung“). Einen Ressourceneinsatz von Arbeitgebern zu fordern oder sogar zu erzwingen, würde die Autonomie der Organisationen erheblich einschränken und bedarf deshalb strenger Regeln, die im Gesetz klar zu definieren und immer nur bezogen auf das Gemeinwohl auszurichten sind.
Erlasse dürfen sich entsprechend nur auf jene Qualifizierungsmodule beziehen, die durch die besondere Professionalität („Vorbehaltstätigkeiten“) gedeckt sind. Auch darf es nicht zu Regelungen oder Zulassungen von Weiterbildungsstätten kommen, die vor allem der Landespflegekammer, berufsständischen Verbänden oder Institutionen Marktvorteile verschaffen.
Nach diesen grundlegenden Anmerkungen und Forderungen möchten die Verbände der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg noch auf einige konkrete Passagen und Änderungsbedarfe hinweisen:
Zu § 50a: Hier ist zu definieren, dass es sich um pflegefachliche Weiterbildungen handelt, die sich auf „Vorbehaltstätigkeiten“ der Pflegefachkräfte beziehen. Weiterbildungen für Managementaufgaben sind ausdrücklich auszuschließen, da sie nicht zur besonderen Expertise zählen.
Zu § 50a (4): Entsprechend sind auch nur jene Module und Weiterbildungsstätten zu bestimmen, die der besonderen Fachlichkeit zuzuordnen sind. Alles darüber Hinausgehende entspricht nach Einschätzung der Liga der freien Wohlfahrtspflege nicht den Vereinbarungen der EU.
Zu § 50a (5): So darf konsequenterweise auch nicht von einvernehmlichen Regelungen „mit der jeweiligen Berufsgruppe…“ gesprochen werden, sondern muss der Bezug zu den jeweils „relevanten Kompetenzen“ – unabhängig vom Berufs- oder Studienabschluss – hergestellt werden.
Zu § 50c: Die Zulassung der Weiterbildungsstätten ist damit auf Module und deren erforderliche personelle, bauliche und sachliche Voraussetzungen zu konzentrieren. Anbieter von Fort- und Weiterbildungen sollten die pflegefachliche Expertise ihrer Maßnahmen sicherstellen, benötigen aber beispielsweise für die Gesamtleitung oder für die Organisation anderer Module nicht zwangsläufig einen pflegerischen Berufsabschluss.
Zu § 50d (3): Hier sind noch Weiterbildungsbezeichnungen aufzunehmen, die nach den Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege oder den Empfehlungen der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg erworben sind.
Zur Änderung des Landespflegegesetzes:
Hier muss insgesamt eine Konzentration auf pflegefachliche Module im Sinne von „Vorbehaltstätigkeiten“ erfolgen, um die Befugnisse der Landespflegekammer darauf zu beschränken.
Die Verbände der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg und deren Mitgliedsorganisationen sind in allen Sektoren der Pflege als Dienstleister und Träger der praktischen Ausbildung engagiert. Sie betreiben zahlreiche Dienste und Einrichtungen sowie Bildungsinstitutionen (Aus-, Fort- und Weiterbildungsstätten, Hochschulen) der Pflege. Sie schätzen und fördern die fachliche und wissenschaftliche Weiterentwicklung der Pflege zum Wohle der ihnen anvertrauten Menschen. Bereits in der Vergangenheit hat die Liga ihre Expertise zur Verfügung gestellt und wird auch in Zukunft konstruktiv zu guten Lösungen in Baden-Württemberg beigetragen.