
Die Liga der freien Wohlfahrtspflege Baden-Württemberg e.V. folgt gerne der Einladung zur Anhörung zum Bericht und Leitlinien zur Wohnraumförderung des Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen des Landes Baden-Württemberg (Blaue Broschüre).
Die Gelegenheit zum vorliegenden Bericht und den daraus abgeleiteten Handlungsanforderungen für das Programm „Wohnungsbau BW 2022“, eine Stellungnahme aus unserer Sicht abzugeben, zeigt erneut, wie breit, aber auch wohlüberlegt, das Land die Fragen zur Schaffung und dem Erhalt von bezahlbarem Wohnraum bearbeitet. Daher begrüßt die Liga der freien Wohlfahrtspflege Baden-Württemberg e.V. die Arbeit der Wohnraum-Allianz ausdrücklich, bringt sich in diese Zusammenarbeit aktiv ein und nimmt die Gelegenheit zur Stellungnahme gerne wahr.
Die Zielsetzung der Wohnraum-Allianz generell und der weiter wachsende Bedarf an bezahlbarem und sozialen Wohnraum speziell, machen deutlich, dass die Gestaltung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen von Stadtentwicklung und (kommunaler) Wohnungswirtschaft immer auch die sozialen Belange und Fragestellungen des gesellschaftlichen Miteinanders berühren. Wenn mittlere Einkommen mit Menschen in sozialen Notlagen um den bestehenden Rest von bezahlbarem Wohnraum konkurrieren müssen, hat erstens der Markt versagt und zweitens ist der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet.
Die Liga erkennt an, dass die Landesregierung die Landeswohnraumförderung in ihrer Attraktivität nicht nur erhalten, sondern in vielfacher Hinsicht weiter verbessern möchte. Dazu gibt es im neuen Programm zahlreiche Konkretionen, wie beispielsweise die Erhöhung der förderfähigen Baukosten auf künftig bis zu 4.000 Euro/m² Wohnfläche, die Steigerung der Langfristigkeit mit längeren Bindungsfristen oder die Erweiterung des Fördervolumens auf nunmehr 377 Mio. Euro. Die in der Blauen Broschüre dargelegten Verbesserungen tragen dazu ohne Zweifel bei.
Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt jedoch, dass eine alleinige Strategie der Verbesserung der Fördermöglichkeiten nicht ausreichend ist, den immensen (Nachhol-) Bedarf an Wohnungen zu befriedigen. So müssten nach einer Studie der Prognos AG für die Wohnraum-Allianz 2017 jährlich im Zeitraum von 2015-2020, 65.000 Wohnungen neu gebaut werden. Laut Statistischem Landesamt hat sich für den gleichen Zeitraum die Anzahl der Wohnungen jedoch nur um 29.000 jährlich erhöht.
Genau so stellt es sich im sozialen Wohnungsbau in Baden-Württemberg dar. So sind die Bestände bundesweit, aber auch in Baden-Württemberg, in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen. Alleine vom 31. Dezember 2020 bis 31. Dezember 2021 ging der Bestand an Sozialmietwohnungen in Baden-Württemberg laut vorliegender „Blauer Broschüre“ um rund 4.400 Wohneinheiten zurück. Die Liga würdigt das intensive Bemühen der Landesregierung mit ihren verschiedenen Strategien, wie der Einberufung der Wohnraum-Allianz oder der Erhöhung und Differenzierung des Förderangebots, die Situation zu verbessern. Und mit einer Erhöhung auf 1.100 fertig gestellter Sozialwohnungen in 2020, als auch einer Erhöhung der bewilligten Förderungen im letzten Jahr von knapp über 3.000 Wohnungen, ist dies auch sichtbar.
Dennoch reicht die Zahl in den letzten Jahren fertig gestellten Sozialwohnungen bei weitem nicht aus, über die Absicherung des aktuellen Bestands hinaus neuen Wohnraum zu schaffen, um zu einer Entspannung auf dem Wohnungsmarkt beizutragen und die bedarfsgerechte Versorgung einkommensschwacher Haushalte sicherzustellen. Denn die Gewinnung von rund 1.500 Wohnungen p.a. durch Neubau bzw. Ankauf von Belegungsrechten würde lediglich zu einer Erhaltung des 2015 bestehenden Ausgangsniveaus beitragen, aber keinen Beitrag zu einem gestiegenen Bedarf an sozialem Wohnraum leisten, wie die oben genannte Studie der Prognos AG beschreibt. Weiter beschreibt sie, dass jährlich 4.000 neue Wohnungen Potenziale für Bestandserweiterungen aufzeigen, die zu rund 100.000 neuen Sozialwohnungen bis 2030 führen könnten. Insofern braucht es eine Strategieergänzung zum bisherigen Förderinstrument der Landesregierung. Das Land selbst muss eine aktivere Rolle in der Schaffung von Wohnraum einnehmen.
Die Handlungsansätze des Programms „Wohnungsbau BW 2022“ setzen auf die bisherige Arbeit der Wohnraum-Allianz BW auf. Diesen Prozess der partnerschaftlichen und verbindlichen Zusammenarbeit gilt es auch in der neuen Legislative fortzusetzen. Wir sehen deutlich, dass diese gemeinsamen Anstrengungen gegenwärtig notwendig sind, um die Wohnungsnot in Baden-Württemberg wirksam zu bekämpfen. Dabei erkennen wir an, dass die Einflussmöglichkeiten des Landes auf wesentliche Facetten der aktuellen wohnungspolitischen Engpässe, wie beispielsweise Grundstückspreise und –Vergabe, begrenzt sind. Wir sind überzeugt: nur unter Beteiligung aller relevanten Akteure und deren gemeinsamen Suche nach pragmatischen und wirksamen Lösungsansätzen kann die bedarfsgerechte Schaffung und Erhalt von bezahlbarem Wohnraum in BW gelingen. Die Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg ist dazu bereit.
Die Liga spricht sich daher für die (Wieder-) Schaffung einer Landesentwicklungs- oder Landeswohnungsbaugesellschaft aus. Mit dem Instrument des Kompetenzzentrums Wohnen BW werden zwar die Kommunen gestärkt, aber dies reicht bei weitem nicht aus, um das immer weiter entstehende Delta zwischen aus der Bindung fallenden Sozialwohnungen und neu geschaffenen zu bekämpfen. Als Unternehmen des Landes Baden-Württemberg stünde diese für die langfristige Bereitstellung von nachhaltigem Wohnraum in „The Länd“.
Nachgehend wird die Liga auf einzelne, aus ihrer Sicht relevante Punkte eingehen:
1. Bestand an sozial gebundenen Wohnungen sinkt weiter
Der Bedarf an sozial gebundenen Wohnungen wird zwischen 1.500 und 6.000 zusätzlichen Wohneinheiten pro Jahr beziffert, wobei mit ersterem lediglich der bestehende Bestand erhalten bliebe. Leider zeigen auch die neuen Zahlen des Landes, dass das Ziel der Sicherung oder gar des Ausbaus an Sozialmietwohnraum erneut verfehlt wurde.
Der verheerende Trend belastet die Existenzsicherung und soziale Existenzgrundlage besonders von Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Hier müssen, neben den bestehenden Ansätzen des Landesprogramms nun neue Wege beschritten werden. Nur wenn die Grundstücksvergabe und Flächennutzungsplanung den Sozialen Wohnungsbau priorisiert, kann hier wirksam gegengesteuert werden. Hier können die Ausweitung der Programmteile der „Besondere soziale Mietwohnraumförderung für Kommunen“ einen wichtigen Beitrag leisten, der durch die Neubewertung von Flächennutzungsplänen zu ergänzen ist
2. Volumen und Planung des Förderprogramm Wohnungsbau BW 2022
Die Anhebung des Gesamtvolumens auf rund 445 Mio. wird ausdrücklich begrüßt. Grundsätzlich zeigt sich, dass das bisherige Engagement des Landes von rund 250 Mio. Euro pro Förderprogramm nicht ausreicht, um die Trendwende im allgemeinen oder sozialen Wohnungsbau zu ermöglichen. Zwar ist dies nicht allein auf die Ausgestaltung der Wohnraumförderung zurückzuführen. Die erneute Baukostensteigerung z.B. bei Wohnungsbau von erneuten 12 % in den Jahren 2020 auf 2021 sowie die aktuellen Fertigstellungsraten legen nahe, dass ein verstärktes Engagement des Landes hier gerade für den sozialen Wohnungsbau notwendige Impulse und Entlastungen leisten kann und sollte. Der Ausbau der Belegbindung ist als schnell wirksame Maßnahme naheliegend. Im Verhältnis zu den bereits beschriebenen Defiziten im Wohnungsbau ist dies als wichtiges und entschiedenes Signal zu werten. Flächendeckende Wirkung wir aber nur im Einklang mit einem sozial verantwortlichen Flächenmanagement erreicht werden können.
3. Zu berücksichtigende Baukosten von 4 000 Euro/m² Wohnfläche
Die Erhöhung der förderfähigen Baukosten auf künftig 4 000 Euro/m² Wohnfläche ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Rückmeldung kleinerer investiver Träger innerhalb der Liga macht jedoch deutlich, dass bereits jetzt diese Größenordnung bei den Baukosten erreicht ist. Insbesondere kleinere Träger, die sich der Zielgruppe der Haushalte mit besonderen Schwierigkeiten bei der Wohnraumversorgung verpflichtet fühlen, verfügen nicht über Möglichkeiten von i.d.R. größeren Wohnungsunternehmen, um Preisentwicklungen begegnen zu können. Die genannte Dynamisierungsregel zur Fortschreibung der Baukosten auf Index-Basis greift jedoch erst ein Jahr später. Relevant sind am Ende die Preise zum Zeitpunkt der Auftragsvergaben, nicht zum Zeitpunkt der Antragstellung. Daher müssten die förderfähigen Kosten zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits die prognostizierten späteren Preise zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe bzw. Realisierung beinhalten. Dies scheint uns aber (zumindest für kleine Projekte) bei den genannten 4.000 Euro/qm nicht gegeben.
Außerdem möchten wir auf den aus unserer Sicht problematischen Umstand hinweisen, dass, beginnend mit der Finanzierungszusage eine einjährige Frist läuft, nach der die Mittel verfallen, wenn nicht mit dem Bau begonnen wird. Dies zwingt unsere Mitglieder in das Risiko einen Bauantrag ohne gesicherte Finanzen zu stellen. Sie unterscheiden sich jedoch ganz wesentlich von klassischen Wettbewerbsakteuren auf dem Wohnungsmarkt, da ausschließlich für wohnungslose Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten Wohnraum geschaffen wird. Insofern plädiert die Liga für eine Flexibilisierung der Frist bei gemeinnützigen investiven Trägern.
4. Erweiterung der Förderlinie „Wohnungsbau BW – Mitarbeiterwohnen“ um die Variante „Werkmietwohnungen“
Diese Erweiterung wird als sinnvoll angesehen. Auch für Sozialunternehmen kann der Bau von Werkmietwohnungen eine gute Strategie in der Gewinnung von Fachkräften sein (z.B. im Pflegebereich), insbesondere, wenn die Gefahr gebannt ist, dass aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedene Mieterinnen und Mieter längerfristig in den Wohnungen verbleiben und der geschaffene Wohnraum deshalb nicht neu an Mitarbeitende vermietet werden kann.
5. Ausgestaltung der sozialen Mietwohnraumförderung für Haushalte mit besonderen sozialen Schwierigkeiten
Die Ausgestaltung des § 6 Absatz 1 Satz 2 LWoFG in Form einer Sonderbindung zugunsten spezifischer Personengruppen wird ausdrücklich begrüßt. Die daraus resultierende Steigerung der Subventionswerte und Mietvergünstigungen von 20 bzw. 40 Prozent stellen eine deutliche Erleichterung für Menschen mit geringen Einkommen am Wohnungsmarkt dar. Da hier jedoch die Einkommensgrenzen der allgemeinen sozialen Mietwohnraumförderung bestehen bleiben (Haushaltes mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern 69 000 Euro Bruttojahreseinkommen beziehungsweise rund 5 750 Euro Bruttomonatseinkommen) wird die Gruppe der berechtigten Personen jedoch sehr weit fasst. Der gleichzeitige Wegfall der gezielten Mietwohnraumförderung für Haushalte mit besonderen sozialen Schwierigkeiten führt allerdings im Ergebnis dazu, dass Menschen mit geringem Einkommen mit Menschen z.B. in Wohnungslosigkeit um diesen Wohnraum konkurrieren. Hier sind andere Ansätze zur Schaffung von Wohnraum für Menschen in sozialen Schwierigkeiten zu entwickeln und eine weitere Ausdifferenzierung der Wohnberechtigung zu leisten, um diesen Menschen eine Chance am Wohnungsmarkt zu eröffnen. Gerne bringen wir unsere Expertise in die Wohnraum-Allianz ein, um hier zu wirksamen Instrumenten zu kommen.
6. Höhe der Absenkung der örtlichen Vergleichsmiete
Vielfach kommt es durch die Absenkung der Vergleichsmiete dazu, dass die Kosten der Unterkunft (KdU) der Sozialleistungsträger über dem Absenkungsbetrag liegen. Das führt dazu, dass sozialer Mietwohnraum nicht für Menschen mit Sozialleistungsbezug anmietbar ist. Es brauchtin diesen Kommunen eine Anlehnung an die Festsetzung der anerkannten Kosten für Wohnen im Bezug von Sozialleistungen.
7. Anerkennung von Darlehen Dritter als Eigenkapitalersatz
Da die Förderung in der sozialen Mietwohnraumförderung stets eine Eigenleistung der Förderempfängerinnen und Förderempfängern in Form von Eigenkapital von 20 Prozent der Gesamtkosten des förderfähigen Vorhabens voraussetzt, kann dies oftmals bereits zu einem Scheitern investiver Maßnahmen bei kleineren gemeinnützigen Trägern führen, die zu ihrer Zielgruppe Haushalte mit besonderen Schwierigkeiten bei der Wohnraumversorgung zählen. Insofern erfüllt die geplante Anerkennung von Darlehen Dritter als Eigenkapitalersatz eine wichtige und langjährige Forderung der Liga, die dies ausdrücklich begrüßt. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass auch für diese Zielgruppe neuer Wohnraum geschaffen wird. Die Praxis wird zeigen, ob die im Programm formulierten engen Voraussetzungen für diese neue Möglichkeit zielführend sind.