Zusätzliche Hürden für junge Menschen und überlastete Ausländerbehörden – Flüchtlingsrat, Unternehmerinitiative Bleiberecht durch Arbeit und Liga-BW fordern Landesregierung zu pragmatischen Lösungen auf
Am 01. Januar 2023 tritt das Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht nun endlich in Kraft. Das sind gute Neuigkeiten für viele Menschen in Deutschland, die seit Jahren im prekären Status einer Duldung leben. Schlechte Nachrichten gibt es allerdings für junge Menschen: Durch die Einführung einer einjährigen Vorduldungszeit in den §25a des Aufenthaltsgesetzes sind diese in Zukunft einer erhöhten Abschiebegefahr ausgesetzt, bevor sich ihnen eine Bleibeperspektive bietet. Darüber hinaus bleibt angesichts der aktuellen Überlastungssituation in den Ausländerbehörden fraglich, inwiefern Menschen ihr Recht auf einen Aufenthalt überhaupt zeitnah in Anspruch nehmen können.
Nach der Abstimmung im Bundesrat am 16. Dezember 2022 tritt das Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts am 01. Januar 2023 endlich in Kraft. Menschen, die am 31. Oktober 2022 seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben, soll ein 18-monatiges Aufenthaltsrecht erteilt werden. Diese Zeit soll es ihnen ermöglichen, die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen. „Wir begrüßen, dass mit dieser Regelung Perspektiven für Menschen geschaffen werden, die bereits seit vielen Jahren unter aufenthaltsrechtlich prekären Bedingungen in Deutschland leben“, kommentiert Dr. Annette Holuscha-Uhlenbrock, Vorsitzende der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg.
Schlechte Nachrichten hält das neue Gesetz allerdings für junge Menschen bereit. Zwar sollen junge Menschen künftig bereits nach drei statt nach vier Jahren des Aufenthalts in Deutschland Zugang zu einer Aufenthaltserlaubnis nach §25a des AufenthG erhalten und dies nicht mehr nur bis zum 21., sondern bis zum 27. Lebensjahr. Allerdings müssen sich die jungen Menschen hierfür zukünftig seit mindestens einem Jahr im Rechtsstatus der Duldung befinden. Durch die Einführung dieser Vorduldungszeit schafft die Bundesregierung zusätzliche Spielräume, betroffene junge Menschen abzuschieben, bevor die Bleiberechtsregelung überhaupt greift. Damit erschwert sie die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten junger Menschen, die während dieser zwölf Monate in Unsicherheit leben müssen. „Ein Jahr ist eine lange Zeit im Leben eines jungen Menschen“, kommentiert Gottfried Härle von der Unternehmerinitiative Bleiberecht durch Arbeit, in der sich über 150 Unternehmen aus ganz Baden-Württemberg zusammengefunden haben. „Gerade auch im Hinblick auf den Arbeits- und Fachkräftemangel fordern wir die Landesregierung dazu auf, in Baden-Württemberg alle Spielräume pragmatisch zu nutzen, um jungen Menschen zu ermöglichen, sich ohne Angst vor Abschiebung auf ihre Ausbildung konzentrieren zu können.“
Insgesamt bleibt offen, inwiefern Menschen ihr Recht auf den Chancen-Aufenthalt überhaupt zeitnah in Anspruch nehmen können. Grund hierfür ist die Überlastungssituation vieler Ausländerbehörden. „Es ist zu befürchten, dass sich viele Anträge zunächst unbearbeitet auf den Schreibtischen der Sachbearbeiter*innen stapeln werden“, meint Lucia Braß, erste Vorsitzende des Flüchtlingsrats. Bereits aktuell müssen Antragsteller*innen zum Teil Monate auf eine Antwort warten. Diese Wartezeiten sind nicht nur psychisch zermürbend, sondern drohen auch, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu untergraben. Außerdem ist diese Situation äußerst unbefriedigend für alle Arbeitgeber*innen, die Geflüchtete beschäftigen. Wir fordern die Landesregierung dazu auf, sich um zusätzliches Personal zu bemühen und pragmatische Lösungen zu finden, mit denen sich Bearbeitungszeiten verkürzen lassen. So könnten zum Beispiel innerhalb der aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen Duldungen oder Aufenthaltserlaubnisse für längere Zeiträume ausgestellt werden.