Die Liga der freien Wohlfahrtspflege Baden-Württemberg e.V. folgt gerne der Einladung zum Anhörungsverfahren zum Gesetzesentwurf zur Änderung kommunalwahlrechtlicher und anderer Vorschriften. In unserer Stellungnahme gehen wir insbesondere auf die zentralen Veränderungen im kommunalen Wahlrecht für wohnungslose Menschen und für junge Menschen ein.
Änderung des kommunalen Wahl- und Stimmrechts für junge Menschen
Wir begrüßen ausdrücklich das Gesetz zur Änderung kommunalwahlrechtlicher und anderer Vorschriften im Hinblick auf das passive Wahlrecht für Gremienwahlen für Jugendliche ab 16 Jahren. Das aktive wie passive Wahlrecht, als deutlichstes demokratisches Beteiligungsrecht, hat sich im Laufe der Geschichte geändert und ist damit Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen und Verhältnisse. Der Diskurs um die Frage des Mindestalters ist aus Sicht der Liga der freien Wohlfahrtspflege Baden-Württemberg primär ein politischer und wir begrüßen sehr, dass mit den vorgebrachten Änderungen den gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung getragen wird, dass junge Menschen äußerst politisch kompetent und engagiert sind und sich stärker einbringen möchten. Doch hat die Corona-Krise deutlich gezeigt, dass trotz erheblicher Einschränkung von Kinderrechten, wie die Schließung von Bildungseinrichtungen, die Interessen und Belange junger Menschen im öffentlichen Diskurs wie in politischen Entscheidungsprozessen zu wenig berücksichtigt wurden. Daher ist es nun an der Zeit, dass junge Menschen ab 16 Jahren in kommunalen Gremien vertreten sind, um Belange und Perspektiven junger Menschen dort einzubringen und zur Generationengerechtigkeit in Baden-Württemberg und damit auch zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen – dies ist eine notwendige Weiterentwicklung unserer Demokratie. Klar ist, dass allein durch die Festsetzung des Wahlalters ab 16 Jahren nicht alle jungen Menschen in dieser Altersklasse das Recht kennen und für sich in Anspruch nehmen. Es braucht zudem eine zielgruppenspezifische Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung, umfassende Demokratiebildung und die aktive Einbindung in Entscheidungsprozesse, um gerade auch politisch ferne junge Menschen auf ihre Rechte hinzuweisen und sie zu befähigen, ihr passives Wahlrecht auszuüben. Die Liga der freien Wohlfahrtspflege steht hierfür gerne als Partnerin zur Verfügung.
Änderung des kommunalen Wahl- und Stimmrechts für wohnungslose Menschen
Das Wahlrecht ist das zentrale staatsbürgerliche Recht unserer Demokratie. Es ermöglicht die Beteiligung an der demokratischen Gestaltung unseres Gemeinwesens. In Baden-Württemberg sind diese Rechte auf kommunaler Ebene für wohnungslose Menschen bisher eingeschränkt. Anders als bei Landtags-, Bundestags- und Europawahlen sowie in den meisten anderen Bundesländern ist das Wahlrecht nicht an den gewöhnlichen Aufenthalt geknüpft. Es setzt voraus, seit mindestens drei Monate im jeweiligen Wahlgebiet zu wohnen und entsprechend behördlich gemeldet zu sein.
Der vorliegende Entwurf sieht vor, dass das Wahlrecht für wohnungslose Menschen, darunter insbesondere Straßenobdachlose, auf kommunaler Ebene entsprechend des gewöhnlichen Aufenthalts reformiert wird und die Personengruppe aktiv und passiv wahlberechtigt wird. Zudem wird die Möglichkeit zur Teilnahme an kommunales Bürgerbegehren und -entscheiden ermöglicht.
Wir begrüßen ausdrücklich den überfälligen Schritt des Landes, den Wahlrechtsausschluss von wohnungslosen Menschen ohne Meldeadresse zu überwinden und deren demokratischen Mitbestimmungsrechte zu gewährleisten. Damit haben sie zukünftig die Möglichkeit der politischen Mitbestimmung auch in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld.
Wir weisen allerdings darauf hin, dass die Voraussetzungen zur politischen Teilhabe für wohnungslose Menschen besonders schwierig sind. Neben den allgemeinen Bedingungen der Lebenslage sind insbesondere die formalen Anforderungen einer fristgerechten Antragsstellung auf Aufnahme in das Wählerverzeichnis hochschwellig. Der vorliegende Entwurf bestätigt dieses Verfahren der Antragstellung in das Wählerverzeichnis. Wir regen an, das Registrierungsverfahren für wohnungslose Menschen zu prüfen und zu flexibilisieren etwa, indem die erforderlichen Meldefristen herabgesetzt werden. Weiterhin sollte das Land die demokratische Beteiligung wohnungsloser Menschen an den politischen Wahlen gezielt fördern, indem spezifische Informationen und Angebote für wohnungslose Menschen zu den Möglichkeiten zur Wahlbeteiligung im Vorfeld der Wahlen auf allen politischen Ebenen verbreitet werden. Gerne bietet die Liga der freien Wohlfahrt in diesem Zusammenhang ihre Unterstützung an.