Unter dem Titel „Herausforderung Schutz“ folgten rund 70 Vertreterinnen/Aktive von 37 Frauenhäusern am 27. Januar 2022 der Einladung zur ersten Frauenhauskonferenz in Baden-Württemberg. „Schutzkonzepte von Frauenhäusern müssen sich stetig neuen Entwicklungen anpassen. Dies ist für die Fachkräfte in den Häusern oftmals eine enorme Herausforderung. Mit der ersten Frauenhauskonferenz wollen wir daher aktuelle Fragen aufgreifen und hilfreiche Anregungen für die Arbeit vor Ort vermitteln“, so Dr. Katrin Lehmann, Vorsitzende des Unterausschusses Frauen und Gewaltschutz der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg e. V., der die Online-Veranstaltung organisierte. Mit Inputs von ausgewiesenen Expertinnen aus der Praxis wurde durch ein Impulsreferat, drei interaktive Workshops und eine Podiumsdiskussion ein Forum für einen intensiven fachlichen Austausch geschaffen. Im Fokus standen dabei alternative Schutzkonzepte, neue Gefährdungen und interdisziplinäre Kooperationsbündnisse.
Gast bei dieser Veranstaltungspremiere war auch Dr. Ute Leidig, Staatssekretärin im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration. In ihrem Grußwort verdeutlichte sie, wie die seit der Corona-Pandemie deutlich angewachsene mediale Aufmerksamkeit für das Thema häusliche Gewalt zeige, dass Gewalt keine Privatsache mehr sei und die Relevanz aller Aktivitäten zum Schutz von Frauen untermauere.
Über die Bedeutung multi-institutionelle Bündnisse zur Stärkung des Schutzes gefährdeter Frauen referierte am Vormittag in einem ausführlichen Impulsvortrag Rosa Logar, Geschäftsführerin der Interventionsstelle Wien und ehemaliges GREVIO-Mitglied. Die Istanbul-Konvention („Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“) erfordere eine wirkungsvolle Zusammenarbeit von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt. Logar mahnt jedoch an, dass in diesen Bündnissen u. a. eine offene Diskussion über die Machtverhältnisse zwischen den beteiligten Akteuren zu führen ist. Nicht-staatliche Bündnispartner wie die Frauenhäuser sind zudem gefordert, ihre Beteiligung an allen relevanten Stellen einzufordern und sicherzustellen.
Am Nachmittag vertieften die Teilnehmenden unterschiedlichen Aspekte von Schutz in drei parallel stattfindenden Fachforen. So berichtete Theresa Eberle, Referentin der Frauenhauskoordinierung Berlin in Forum 1 über das Projekt „Digitale Gefährdungen in Frauenhäusern“, dessen Ziel die Sensibilisierung für das Thema digitale Gewalt ist. Ein Leitfaden über Möglichkeiten der Erhöhung digitaler Sicherheit in Frauenhäusern und Beratungsstellen ist als Ergebnis des Projektes vorgesehen. In Forum 2 erläutert Sabrina Stork vom Frauenhaus Espelkamp am Beispiel ihres hauseigenen Schutzkonzeptes, wie die Sicherheit eines Frauenhaues bei bekannter Adresse sichergestellt werden. Gerade in Kleinstädten und ländlichen Regionen, aber auch aufgrund von Möglichkeiten der digitalen Ortung, wird die Anonymität von Frauenhäusern fragiler und sind neue, alternative Schutzkonzepte gefordert. Gemeinsam mit Referentin Rosa Logar wurden in Forum 3 die Chancen, Grenzen und Gelingensbedingungen interdisziplinäre Bündnisse weiter erörtert.
Abschließend diskutierten die Teilnehmenden und Expertinnen gemeinsam ihre Visionen für die Frauenhauslandschaft Baden-Württembergs in 10 Jahren, die sich vor allem durch auszeichnet durch
- einen Ausbau der Plätze in den Frauenhäusern, verbunden mit den entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen,
- das Schaffen von Interventions- bzw. Fachberatungsstellen in jedem Landkreis,
- einen bundesgesetzlichen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe und
- die konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention.
Im Anschluss resümiert Dr. Karin Lehmann: „Diese Vision wird auch unsere Arbeit in der Liga und dem Unterausschuss Frauen und Gewaltschutz in den kommenden Jahren prägen. Wir setzen uns weiterhin intensiv für die Umsetzung der Istanbul-Konvention ein – in der politischen Arbeit genauso, wie in der Arbeit in all unseren Mitgliedseinrichtungen zum Schutz von Frauen vor Ort.“
Der Austausch und die Vernetzung im Rahmen dieser ersten Frauenhauskonferenz wurden von den Teilnehmenden als wertvolle Bereicherung erlebt, sodass eine Neuauflage der Frauenhauskonferenz erwünscht und geplant ist.