Stellungnahmen liga-bw
26 Okt

Die Liga begrüßt das vorgeschlagene Gesetz zum Erlass eines Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetzes und zur Verankerung des Klimabelangs in weiteren Rechtsvorschriften (Artikelgesetz). Aus Sicht der Liga gehen Maßnahmen des Klimaschutzes in die richtige Richtung, schützen die Grundlagen unserer Gesellschaft und dienen der (Generationen-)Gerechtigkeit.

I. Investive Kosten zum Klimaschutz / energetische Verbesserung refinanzieren
Die Sozialwirtschaft ist durch die vorgesehenen gesetzlichen Änderungen nicht unmittelbar betroffen. Aber gerne möchten und müssen auch unsere Einrichtungen und Dienste einen Beitrag zum Schutz des Klimas, zur Förderung der Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und der Verbesserung der Autarkiequote leisten. Die voll- und teilstationären Sozialeinrichtungen, insbesondere in den Bereichen der Pflege, der Eingliederungshilfe sowie der Kinder- und Jugendhilfe, verfügen über einen sehr großen Gebäudebestand, der in diesem Zusammenhang ein enormes Potential beinhaltet, das durch entsprechende energetisch sinnvolle Bau- und Sanierungsmaßnahmen genutzt werden könnte.
In Baden-Württemberg gibt es derzeit allein rd. 1800 Pflegeheime. Laut einer Hochrechnung der KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg GmbH entfallen auf diese rd. 1160 GWh/a Wärmeenergie und rd. 450 GWh/a an Stromverbrauch, die zu jährlichen CO2-Emissionen von rd. 470.000 t führen. Ein Großteil der Gebäude ist energetisch verbesserungsfähig und birgt deutliche Potentiale zur CO2-Einsparung. Aber selbst Träger, die bereit sind diese Potentiale zu schöpfen, werden durch die
mögliche mangelnde Refinanzierung der Investition zurückgehalten. Grund hierfür ist die rechtliche Grundlage, die diesen systemimmanenten Fehler hervorbringt.
Ähnlich wie mit diesen ca. 110.000 Plätzen in der vollstationären Pflege verhält es sich mit den ca. 18.700 Plätzen in der vollstationären Kinder- und Jugendhilfe und den ca. 21.400 Plätzen in der besonderen Wohnform der Eingliederungshilfe.
Leider verhindert die durch die einschlägigen, bundesrechtlich geregelten Sozialgesetzbücher vorgegebene Trennung der Berechnung und Vereinbarung von investiven Kosten einerseits und Kosten des laufenden Betriebes andererseits in Verbindung mit den in Baden-Württemberg derzeit vereinbarten Kostenrichtwerten im Bereich Kinder- und Jugendhilfe, Eingliederungshilfe und Pflege, dass diese Potentiale von gewillten Einrichtungsträgern auch genutzt werden können.
Um dies zu erläutern, möchte die Liga folgendes Beispiel anführen:
In einem normalen gewerblichen Betrieb könnten die Investitionskosten für eine Solaranlage auf dem Dach bzw. deren Abschreibungen im Rahmen der üblichen Gewinn- und Verlustrechnung durch die Ersparnisse aufgrund der Reduktion bzw. des Wegfalls des bei den Stadtwerken bzw. Stromversorgern einzukaufenden Stromes automatisch gegenfinanziert werden.
In der Sozialwirtschaft funktioniert dies aufgrund der separaten pflegesatz- und vergütungsrechtlichen Behandlung von investiven Kosten und Kosten des laufenden Betriebes nicht. Auf der Ertrags- bzw. Refinanzierungsseite werden getrennt ein Investitionskostensatz und ein/e Vergütung/Entgelt prospektiv verhandelt und abgerechnet. Der Investitionskostensatz basiert auf den investiven Anschaffungs- und Herstellungskosten, gedeckelt auf bestimmte Kostenrichtwerte; die Höhe der sonstigen Vergütung/Entgelte basiert dagegen auf den laufenden betriebsnotwendigen Kosten.
So werden z. B. die Investitionskosten zur Errichtung eines Pflegeheimes über den Investitionskostensatz (IK-Satz) mit den Sozialhilfeträgern verhandelt. Die Berechnung des Investitionskostensatzes basiert auf einer komplexen Kalkulation aus Baukosten, Inventarkosten, Fremdkapitalkosten, Eigenkapitalverzinsung, Abschreibungssätzen, Ersatzinvestitionen, Grundstückserwerb, Mieten und Pacht etc. Die Anschaffungs- und Herstellungskosten werden begrenzt durch fortgeschriebene Kostenrichtwerte, die 2018 dem Grunde nach geeint wurden. Diese enthalten jedoch derzeit keinen Anteil für Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, wie z.B. starke Dämmung, Solaranlagen, Geothermie-Anlagen usw.
Setzt der Rechtsträger des Pflegeheimes also noch eine Solaranlage auf das Dach, so werden ihm diese energetisch sinnvollen Mehrkosten aufgrund der gedeckelten Kostenrichtwerte nicht über den Investitionskostensatz refinanziert. Aber auch über die Refinanzierung der laufenden Betriebskosten kann die Solaranlage nicht refinanziert werden. Der Wegfall der Kosten für eingekauften Strom führt zu niedrigeren betrieblichen Sachkosten und führt in der jetzigen Rechtslage zu einer Reduktion des mit dem zuständigen Kostenträger zu vereinbarenden Entgeltes.
Im Ergebnis bleiben die Kosten der Solaranlage beim Träger des Pflegeheimes hängen, der Vorteil in Form niedriger Betriebskosten landet beim Kostenträger. Es ist offensichtlich, dass ein solcher Mechanismus die Ausschöpfung von sinnvollen energetischen Bau- und Sanierungsmaßnahmen verhindert.
Die enormen Energie- und CO2-Effizienzpotentiale werden aufgrund o. g. Hemmnisse in der Sozialwirtschaft nicht gehoben, so dass dieser Sektor derzeit keinen wesentlichen Beitrag leistet, um die gesteckten Klimaschutzziele zu erreichen. Insbesondere der Pflegeheimbereich wird aufgrund der demografischen Entwicklung noch weiter an Bedeutung zunehmen. Steigende Energie- und CO2-Preise werden sich in Zukunft stärker für die Leistungsträger sowie die Selbstzahler auswirken, insofern müssen die richtigen Rahmenbedingungen für Energieeffizienzinvestitionen in Pflegeheimen jetzt gestellt werden.
Da der Landesgesetzgeber die Bundes-Sozialgesetzbücher nicht ändern kann, muss unter diesen vorgegebenen Bedingungen eine Lösung auf Landesebene gesucht werden. Hierzu möchten wir einen institutionalisierten Dialog aus Vertretern der Leistungserbringer- und der Leistungsträgerseite anregen unter Moderation der Landesregierung (analog des Dialogs von 2016 bis 2018 über die Kostenrichtwerte in der vollstationären Pflege). Ziel könnte die Vereinbarung eines zusätzlichen Kostenrichtwertes sein, der ausdrücklich für klimaschützende und energetisch sinnvolle Bau- und Sanierungsmaßnahmen gedacht ist. Der nun mit der Novellierung des Klimaschutzgesetz BaWü neu eingeführte CO2-Schattenpreis könnte hierbei als ein zusätzlicher kalkulatorischer Maßstab im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsbewertung herangezogen werden.
Die Liga denkt, dass sich ein solcher politischer Dialog für alle Beteiligten lohnt und dem Ziel des Klimaschutzes und des energetischen Wandels dient. Je früher wir damit beginnen, desto schneller können wir effektiv die großen Energieeffizienzpotentiale in der Sozialwirtschaft nutzen.


II. Landesstelle für Klimaschutzkoordination für die sozialen Einrichtungen
Wir regen an, dass es neben den Koordinatoren bei den Landkreisen auch eine überörtliche Landesstelle für Klimaschutzkoordination für soziale Einrichtungen unter dem Dach der Liga der Freien Wohlfahrtspflege gibt. Hierfür muss das Land eine Finanzierung gewähren, damit auch die sozialen Einrichtungen in diesen Fragen qualifiziert beraten werden, um ihren Beitrag zu den Klimaschutzzielen leisten zu können.


III. Entbürokratisierung von Förderungen für soziale Einrichtungen
Die Förderung in diesem Bereich ist derzeit stark fragmentiert und zu kompliziert für die Sozialwirtschaft. Die Liga regt daher die Schaffung eines gebündelten, auf die Verhältnisse der sozialen Einrichtungen zugeschnittenen Fördersystems an.