30.07.2020 Vom 17. März bis zum 29. Mai 2020 waren als Maßnahme zur Eindämmung der Corona-Pandemie die Schulen in Baden-Württemberg für die meisten Kinder geschlossen. Trotz der sukzessiven Rücknahme der Beschränkungen nach den Pfingstferien gibt es bis heute noch keinen Regelbetrieb an Schulen.
Je nach Schulart und Fach haben die Kinder und Jugendlichen somit 10 bis 15 Wochen an Unterricht versäumt, was 25% bis 40% eines Schuljahres entspricht. Der in diesen Wochen durchgeführte „Fernlernunterricht“ ist – selbst bei guter digitaler Ausstattung – kein Ersatz für den Präsenzunterricht. Vielmehr hat sich gezeigt, dass es vielen Kinder und Jugendlichen nicht gelang, die für das Fernlernen notwendige Selbstregulation aufzubringen. Auch viele Eltern taten sich schwer, ihre Kinder zuhause zum Lernen zu motivieren bzw. zu unterstützen.
Dieses Phänomen war in allen sozialen Milieus zu beobachten. Die Liga geht davon aus, dass sich die Divergenz zwischen sozial benachteiligten und privilegierten Schüler*innen durch die Coronabedingte Schließung der Schulen vergrößert hat. Die Lernbrücken in den Sommerferien können hier nur bedingt Abhilfe schaffen, da insbesondere bildungsbenachteiligte Schüler*innen nicht erreicht werden.
Kultusministerin Dr. Eisenmann sagt zutreffend, Schule sei nicht nur Wissensvermittlung. Kinder und Jugendliche hatten in diesen Wochen fast keine Gelegenheit, mit Gleichaltrigen zusammen zu sein. Dabei ist der Kontakt unter Gleichen für eine gesunde soziale und emotionale Entwicklung im Kinder- und Jugendalter eine unabdingbare Voraussetzung. Kinder und Jugendliche mussten daher in den letzten Monaten einen gesellschaftlich deutlich überproportionalen Solidarbeitrag leisten. Darüber hinaus wurden die Kinder und Jugendlichen in die sie betreffenden Entscheidungen zumeist nicht einbezogen – ein Recht, dass ihnen nach Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention zusteht.
Für einen kind- und jugendgerechten Einstieg in den Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen im nächsten Schuljahr fordert die Liga der freien Wohlfahrtspflege daher:
- Vorrang für Kinder und Jugendliche vor Lockerungen an anderer Stelle.
- Bei Entscheidungen müssen Belange und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen Berücksichtigung finden.
- Zusätzliche differenzierte Bildungsangebote im kommenden Schuljahr für alle Kinder entsprechend ihres individuellen Lernstands. Diese müssen deutlich über die für das Ferienende geplanten Lernbrücken hinausreichen.
- Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Eltern an den Entscheidungen, die die Organisation des schulischen Betriebs in der Corona-Zeit betreffen, sowohl in informellen als auch in institutionalisierten Formen (z.B. SMV, Landesschülerbeirat) der Interessenvertretung.
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Bildung, soziale Teilhabe und auf Partizipation in den sie betreffenden Angelegenheiten.
Pressekontakt
Matthias Reuting
Stv. Vorsitzender des Ausschusses Kinder, Jugend, Familie
Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg e.V.
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