
Die Liga der freien Wohlfahrtspflege nimmt wie folgt Stellung zum Entwurf der SchiedsstellenVO SGB IX:
der ursprüngliche Vorentwurf vom März 2020 wurde innerhalb der Liga geprüft und die Anmerkungen hierzu in einem Schreiben an das Ministerium zurückgesandt. Einige Punkte wurden erfreulicherweise übernommen und in den jetzigen formellen Entwurf eingearbeitet.
Bspw. wurde eine umfassende Datenschutzregelung aufgenommen, ebenso wurde bestimmt, dass der Sitz der Schiedsstelle sich nicht automatisch beim KVJS befindet, sondern in der Geschäftsordnung geregelt werden soll etc.
Grundsätzlich handelt es sich beim nunmehr vorliegenden Entwurf um eine gute Grundlage, so dass die begründete Hoffnung besteht, dass alsbald mit dem Erlass einer VO und einer arbeitsfähigen Schiedsstelle gerechnet werden kann.
Folgende Punkte sollten diskutiert bzw. geprüft werden:
§ 2 Absatz 3 Satz 2:
Die vorsitzende Person soll die Befähigung zum Richteramt oder höheren allgemeinen Verwaltungsdienst besitzen. Auch wenn es sich um eine Soll-Vorschrift handelt engt sie den Personenkreis unnötig ein, es könnte schwer werden, Personen mit dieser Qualifikation und der fachlichen Nähe zum SGB IX zu finden. Es kommt hinzu, dass künftig auch die Leistungsvereinbarung schiedsstellenfähig sein wird, so dass auch insoweit fachlich kundige Personen geeignet sind, den Vorsitz zu führen.
Ein Änderungsvorschlag wäre: Die vorsitzende Person oder ihre Stellvertretung sollte die Befähigung zum Richteramt oder höheren allgemeinen Verwaltungsdienst besitzen.
§ 6 Amtsführung und Sitzungsteilnahme, Absatz 3
Da wir die Einreichung der Unterlagen auch in digitaler Form fordern (siehe Anmerkungen zu § 8 Absatz 2), ist eine Rückgabe der per Mail versandten Unterlagen bei Verhinderung unnötig. Das verhinderte Schiedsstellenmitglied soll stattdessen selbst die Stellvertretung organisieren.
Darüber hinaus wäre der 2. Halbsatz in § 6 Abs. 3 Satz 1 „[…] und die ihm für diese Sitzung übermittelten Unterlagen an die Geschäftsstelle unverzüglich zurückzugeben“ zu streichen.
Zudem wäre der 2. Halbsatz in § 6 Abs. 3 S. 2 „[…] und übermittelt dieser die Unterlagen“ zu streichen.
§ 7 Geschäftsordnung
Satz 2:
Im Gegensatz zum ersten Verordnungsentwurf vom Anfang des Jahres ist jetzt eine Teilnahmemöglichkeit der stellvertretenden Schiedsstellenmitglieder als Zuhörer an der mündlichen Verhandlung nicht mehr vorgesehen. Vielmehr schließt § 10 Absatz 2 Satz 2 dies sogar ausdrücklich aus. Die Möglichkeit einer Teilnahme als Zuhörer ist jedoch wichtig, damit stellvertretende Personen Kenntnisse und Erfahrungen für einen eigenen Einsatz sammeln können.
Daher müsste § 10 Absatz 2 Satz 2 folgendermaßen formuliert werden: „Stellvertretende Personen können als Zuhörende ohne Rederecht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen.“
Satz 3:
Die Möglichkeit einer Online-Verhandlung wurde nicht in die SSt VO aufgenommen, es wurde nur die Möglichkeit eröffnet, die entsprechende Anwendung des § 110a Sozialgerichtsgesetz in der GeschO zu regeln.
Die Regelungen im § 110a SGG ermöglichen zwar die digitale Teilnahme der Verfahrensbeteiligten (Vertragsparteien, Bevollmächtigte, Beistände), nicht jedoch die komplett digitale Durchführung der mündlichen Verhandlung, so dass die Schiedsstellenmitglieder und die Vertreter*innen der Interessenvertretungen immer im Sitzungszimmer zusammenkommen müssen.
Daher müsste mindestens der dritte Satz ergänzt werden um „[…]und dass die mündliche Verhandlung digital durchgeführt werden kann, so dass die Schiedsstellenmitglieder und die Vertretungen der Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung sich an einem anderen Ort aufhalten und dort Verfahrenshandlungen vornehmen können.“
Eine solche Regelung würde auch erlauben, dass „hybride“ Sitzungen stattfinden können.
Aufgrund der Corona-Erfahrung sollte dies aber nicht nur der GeschO überlassen werden, sondern in § 10 der SSt VO explizit als Möglichkeit aufgenommen und verankert werden. Z.B. mit folgendem dritten Satz in § 10 Absatz 1: „Die mündliche Verhandlung kann auch digital durchgeführt werden, so dass die Schiedsstellenmitglieder und die Vertretungen der Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung sich an einem anderen Ort aufhalten und dort Verfahrenshandlungen vornehmen können.“
Überlegt werden sollte auch, ob eine digitale Veranstaltung nur im Rahmen des § 110a SGG erfolgen oder erweitert werden soll, vgl. § 211 SGG (der jedoch nur bis 31.12.2020 Gültigkeit besitzt).
Satz 4:
Gemäß Entwurf sollen Erlass und Änderungen der GeschO mit einfacher Mehrheit beschlossen werden.
Dies hat zur Folge, dass eine Organisation mit entsprechender Nähe zum Vorsitzenden gegen die andere Organisation Änderungen der GeschO einseitig durchsetzen kann. Eine ZweidrittelMehrheit der Mitglieder bietet hiergegen einen größeren Schutz.
§ 8 Einleitung des Schiedsverfahrens und Antrag
Zu Absatz 2 Satz 2: Die Einreichung des Antrags und der Anlagen in 18-facher Ausfertigung ist völlig aus der Zeit gefallen. Auch im Hinblick auf die jahrelange Praxis der anderen Schiedsstellen sollte es absolut ausreichen, den Antrag und seine Anlagen in einfacher Ausfertigung im Original einzureichen, dasselbe als PDF-Datei zur Weiterleitung an die übrigen Beteiligten.
Zu Absatz 3: Im ersten Satz ist geregelt, dass der Antrag unter anderem die Gegenstände aufzuführen hat, über die eine Vereinbarung nicht zustande gekommen ist. Das Wort „Vereinbarung“ sollte aber durch „Einigung“ ersetzt werden, da eine teilweise Vereinbarung nicht vorgesehen ist, es gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nur um die strittigen Punkte geht und § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB IX explizit auf das Nichtzustandekommen einer Einigung abstellt.
§ 9 Verfahren bis zur mündlichen Verhandlung
Zu Absatz 1:
Wie unter § 8 Abs. 2 plädieren wir auch an dieser Stelle für die einfache Einreichung der Unterlagen in schriftlicher Form zusammen mit einer digitalen Übermittlung.
Abs. 1 ist um einen neuen Satz 3 zu ergänzen: „Die Geschäftsstelle übersendet an alle Mitglieder sowie deren Stellvertretungen alle Unterlagen in digitaler Form unverzüglich nach Eingang.“ Dies entspricht bereits der gängigen Praxis der anderen Schiedsstellen.
Zu Absatz 2:
Aus Sicht der Leistungserbringer sollten die Verfahren mit jedweder Beschleunigung geführt werden. In der Vergangenheit war immer wieder eine nachlässige Bearbeitung seitens der Leistungsträger ein Thema, da eine Verzögerung des Verfahrens die Leistungserbringer weiter unter Druck setzt. Eine Benennung konkreter Fristen (und Sanktionierung bei Nichteinhaltung) ist schwierig.
In Abs. 2 Satz 2: „Zur Verfahrensbeschleunigung soll die vorsitzende Person in der Regel hierzu Fristen bestimmen“ (Statt der kann – Regelung).
Außerdem könnte/sollte ein genereller Beschleunigungsgrundsatz in Absatz 1 aufgenommen werden: Die Verfahren sind von der vorsitzenden Person mit der gebotenen Beschleunigung zu führen.
§ 10 Mündliche Verhandlung
Absatz 1 Satz 1 ist zu ergänzen: Die Schiedsstelle entscheidet unverzüglich über den Antrag…. Dieses „unverzüglich“ war in der SSt VO SGB XII enthalten und ist von § 126 Abs. 2 S. 2 auch so vorgegeben.
Die Nichtöffentlichkeit der mündlichen Verhandlung wirkt zunächst befremdlich, hat aber auch Vorteile, ist auch in der SSt VO SGB XII so geregelt.
Wie unter § 7 erläutert sollte der dritte Satz in § 10 Absatz 1 wie folgt ergänzt werden: „Die mündliche Verhandlung kann auch digital durchgeführt werden, so dass die Schiedsstellenmitglieder und die Vertretungen der Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung sich an einem anderen Ort aufhalten und dort Verfahrenshandlungen vornehmen können.“
Wie unter § 7 erläutert müsste § 10 Absatz 2 Satz 2 folgendermaßen formuliert werden: „Stellvertretende Personen können als Zuhörende ohne Rederecht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen.“
Absatz 3: Ergänzung: „Mit Zustimmung beider Vertragsparteien können Entscheidungen auch im Umlaufverfahren erfolgen, bevorzugt auf elektronischem Wege“
§ 13 Gebühren und Kosten der Schiedsstelle
In Absatz 1 sind bei Anrufung „für das Verfahren je Antrag“ € 250 zu bezahlen. In Absatz 2 ist geregelt, dass „für das Verfahren der Schiedsstelle je Antrag“ € 750 – € 15.000 erhoben werden.
Unklar dabei bleibt, was konkret unter „Antrag“ zu verstehen ist? Sind ein gleichlautender Antrag für 50 Vereinbarungen auch 50 Verfahren? Dies würde bei gleichen Streitgegenständen beim selben Leistungserbringer zu einer erheblichen Belastung führen, trotz eines vergleichsweise geringen Mehraufwandes der Schiedsstelle. Die Möglichkeit eines geeigneten Sammelantrages wäre daher zu eröffnen. Dabei geben wir außerdem zu bedenken, dass die künftigen Vereinbarungen kleinteiliger gefasst werden.
Vor diesem Hintergrund ist mindestens eine größere Spannweite der Verfahrensgebühren erforderlich; insbesondere für einfache und aufwandsarme Verfahren, die z. B. lediglich eine Laufzeitfestsetzung zum Ziel haben. Daher schlagen wir für § 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 vor: „Für das Verfahren der Schiedsstelle wird je Antrag eine Verfahrensgebühr von 50 € bis 15.000 € erhoben. Die Höhe der Verfahrensgebühr richtet sich nach der Bedeutung sowie dem Aufwand des Verfahrens unter Beachtung des Gegenstandswerts.“
§ 15 Verpflichtung zur Verschwiegenheit
Zu Absatz 4:
Für die Vornahme der Verpflichtung wird die Geschäftsstelle für zuständig erklärt; allerdings nur für die in Absatz 2 Satz 1 genannten Personen, also die Mitglieder der Schiedsstelle (gemäß § 2 Absatz 1 sind das die vorsitzende Person sowie die zehn Vertretungen der Leistungserbringer und der Träger der Eingliederungshilfe) und die Vertretungen der Interessenvertretungen.
Daher müsste nicht auf Absatz 2 Satz 1 sondern auf Absatz 1 Satz 1 verwiesen werden, oder soll die Verpflichtung zur Verschwiegenheit jeweils zu Sitzungsbeginn bei den aktuell Beteiligten erfolgen?