Stellungnahmen liga-bw
08 Aug

Die Liga der freien Wohlfahrtspflege begrüßt die vorwiegend redaktionellen Änderungen im Gesetz.

Deutliche und scharfe Kritik üben wir jedoch an der Ermittlung des finanziellen Bedarfs für die Betreuungsvereine. Der dort angesetzte Mehraufwand von ca. 490 000 Euro, umgerechnet bei ca. 70 Betreuungsvereinen in Baden-Württemberg 7000 Euro pro Verein, stehen in keinem Verhältnis zu dem anstehenden Mehraufwand, der auf die Betreuungsvereine durch die Vielzahl der neuen und erweiterten Aufgaben im Rahmen der Reform des Betreuungsrechtes zukommt.

Mit der angesetzten Steigerung der Finanzierung, wird die Erfüllung der Aufgaben der Betreuungsvereine konterkariert. Das eigentliche Ziel der Betreuungsrechtsreform, die Steigerung der Qualität in der (ehrenamtlichen) Rechtlichen Betreuung ist damit zum Scheitern verurteilt.

Schon die derzeitige Finanzierung ist zu knapp bemessen. Sie zwingt Betreuungsvereine seit Jahren zu kompensatorischen und zeitaufwendigen Schritten, die sich negativ auf die Querschnittsarbeit auswirken:

• Ein Großteil der Querschnittsmitarbeitenden muss zahlreiche berufliche Betreuungen führen, um die Refinanzierung der eigenen Stelle und der Geschäftsstelle zu gewährleisten.

• Die Vereine erbringen bereits jetzt eine hohe Summe an Eigenmittel (Spenden, Fundraisinggelder, Bußgelder, Verbandsgelder), um ihre Existenz zu sichern. (Siehe Auswertung KVJS-Verwendungsnachweis: allein im Jahr 2019 wurden 1,8 Millionen Euro aus Eigenmitteln eingebracht)

Die Begründung der Gesetzesänderung tut die Erweiterung der Aufgaben im Abschnitt „Finanzielle Auswirkungen“ sehr lapidar ab. Dies wird dem Mehraufwand in keinster Weise gerecht.

Im Reformgesetz hat der Gesetzgeber den Betreuungsvereinen eine zentrale Rolle im Betreuungswesen zugesprochen. Eine angemessene bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung mit öffentlichen Mitteln zur Wahrnehmung der zugewiesenen Aufgaben ist gesetzlich verankert.

Gesetzliche Aufgaben müssen finanziert werden und kostendeckend sein. Eigenmittel sind hierfür gesetzlich nicht vorgesehen. Die Finanzierung der Betreuungsvereine muss die realen Personal-, Sach- und Overheadkosten abdecken, und darüber hinaus eine Dynamisierung enthalten.

Um der Betreuungsrechtsreform gerecht zu werden, müssen die neuen Aufgaben ernstgenommen werden. Allein für die Umsetzung der neuen gesetzlichen Aufgaben brauchen wir mehr Personal, Zeit und Geld!

Wie umfassend die neu hinzugekommenen Aufgaben und deren Aufwand sind, wollen wir im Folgenden nochmals zusammenfassend darstellen:

• Ausweitung der Beratungs- und Informationspflicht der Betreuungsvereine auf die Information und Beratung zur Patientenverfügung, auf betreuungsrechtliche Fragen sowie die Einzelfallberatung auch zu anderen Hilfen

Seit Jahren beobachten die Betreuungsvereine einen gestiegenen Bedarf an Vorträgen zu Vorsorgethemen. Mit dem erweiterten Beratungs- und Informationsauftrag wird dieser Bedarf und die Nachfrage weiter steigen.

Beratungen und Informationsveranstaltungen zu den genannten Themen dienen der Betreuungsvermeidung, und können somit zu einer Entlastung der Staatskasse führen.

Bei so sensiblen Themen wie Patientenverfügung ergeben sich aus jedem Vortrag weitere Einzelberatungen, die sehr zeitintensiv sind.

• Die Erstellung, Ausarbeitung, Besprechung und Nachbereitung einer verpflichtenden Vereinbarung zwischen Ehrenamtlichen und Betreuungsvereinen ist nicht in dem angesetzten Zeitfenster von einer Stunde zu erledigen.

Diese Aufgabe umfasst u.a.:

  • Entgegennahme, Erfassung und Verarbeitung der Kontaktdaten
  • Kontaktaufnahme (erwartungsgemäß mehrmals erforderlich)
  • Erstgespräche: Erläuterung und Abschluss der Vereinbarung, Vorstellung des Betreuungsvereins, Erklärung der Fortbildungsauflage und Klärung offener Fragen
  • Im Nachgang Datenaktualisierung und Verteilerpflege
  • Nachbetreuungen per Telefon, Mail oder persönlich.
  • Rückmeldungen an die Betreuungsbehörde über den Abschluss der Vereinbarung

Laut „Orientierungshilfe zum Personalmehrbedarf nach BtOG ab 1.1.2023“ vom KVJS, Landkreistag BW und Städtetag BW werden den Betreuungsbehörden allein schon für die Übergabe der Kontaktdaten an den Betreuungsverein bereits 30 Minuten zuerkannt. Übernimmt eine Betreuungsbehörde die Einführung, Fortbildung und Begleitung von ehrenamtlichen Rechtlichen Betreuern selbst, billigt ihr oben genannte Orientierungshilfe 5 Stunden Zeitaufwand zu. Betreuungsvereine brauchen dafür die gleiche Zeit.

• Ehrenamtliche Rechtliche (Fremd-)Betreuer sind zu regelmäßigen Fortbildungen gesetzlich verpflichtet. In der Konsequenz steigt damit der Fortbildungsbedarf. Die Betreuungsvereine müssen zur Bedarfsdeckung ihr Angebot deutlich ausbauen und erweitern; dazu verpflichten sie sich in der Vereinbarung. Und Fortbildungsveranstaltungen umfassen nicht nur die Veranstaltung selbst, sondern u.a. auch:

• Ehrenamtlichen Familienbetreuern kann von den Betreuungsvereinen eine solche Vereinbarung angeboten werden. Gerade mit Blick auf deren starke emotionale Betroffenheit ist es wichtig, den Familienbetreuern, das breite Angebot der Unterstützung durch die Betreuungsvereine zukommen zu lassen. Jeder Familienangehörige, der gut begleitet eine Rechtliche Betreuung übernimmt, erspart der Staatskasse Geld.

• Zwar wird die Verhinderungsbetreuung vergütet, jedoch deckt die Vergütung die notwendigen Vor- und Nacharbeiten (z.B. die qualifizierte Übergabe: Kenntnis der Wünsche des Betreuten, der aktuellen gesundheitlichen Situation etc.) nicht ab. Diese Vor- und Nacharbeiten sind wichtig und notwendig für eine gelungene Verhinderungsbetreuung. Für diesen Aufwand müssen Betreuungsvereine Personal vorhalten, welches eben nicht über die Vergütung finanziert wird.

  • Vorausplanung/Jahresplanung
  • Raumsuche und Anmietung
  • Referentenakquise
  • Bewerbung der Veranstaltung
  • Inhaltliche Vorbereitung
  • Organisatorische Vorbereitung
  • Aufbau und Abbau
  • Moderation der Veranstaltung
  • Randgespräche und Koordination nachfolgender Beratungstermine
  • Erstellung und Versand von Teilnahmebescheinigungen.


• Durch das neue Ehegattennotvertretungsrecht ergibt sich aus dem sachlichen Zusammenhang zum Betreuungsrecht und den Vorsorgethemen automatisch ein Mehraufwand durch Information der Bevölkerung und an Beratung.

Gute Querschnittsarbeit durch eine auskömmliche Finanzierung der Betreuungsvereine entlastet die Staatskasse. Dadurch werden berufliche Betreuungen vermieden, ehrenamtliche Betreuungen und Vorsorgevollmachten gefördert. Eine beruflich geführte Betreuung kostet dem Staat zwischen 1224 und 4347 Euro. Die Kosten für eine ehrenamtliche Betreuung beschränken sich auf eine Aufwandsentschädigung von ca. 400 Euro im Jahr.

Der finanzielle Bedarf der Betreuungsvereine steigt mit der Betreuungsrechtsreform deutlich an.

Eine ausreichende Finanzierung hat die Liga der freien Wohlfahrtspflege schon in ihrem Schreiben vom 24.3.2022 aufgezeigt. Dieses Schreiben fügen wir nochmal bei. Wir haben darin detailliert dargelegt, wie eine betriebswirtschaftlich verantwortbare Grundausstattung aussehen muss und welche Kosten und Tarifsteigerungen aus den vergangenen Jahren „noch offen“ sind.