23 Mai

Digitales Fachgespräch des Liga Ausschusses Kinder, Jugend, Familie am 12.05.2022

Die Beteiligung junger Menschen ist ein zentrales Kinderrecht in der UN-Kinderrechtskonvention und auch ein wichtiges Ziel der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg.

Dass Kinder und Jugendliche tatsächlich in allen Angelegenheiten, die sie betreffen, gehört und eingebunden werden, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Doch gerade in der Pandemie haben sich viele nicht gehört oder gesehen gefühlt, geschweige denn beteiligt. Umso zentraler ist es, dass die Kinder- und Jugendhilfe weiterhin ein Motor der Partizipation ist.

Mit der Reform des SGB VIII stärkt der Gesetzgeber nun nochmals die Beteiligungsrechte junger Menschen und ihrer Familien – nicht nur individuell, sondern auch auf der strukturellen Ebene. Denn nach § 4a SGB VIII sollen „selbstorganisierte Zusammenschlüsse“ von Betroffenen in der Kinder- und Jugendhilfe mit ihrer Expertise in die Strukturen und Prozesse der Kinder- und Jugendhilfe eingebunden, gestärkt und gefördert werden.

Im Rahmen des 70-jährigen Liga Jubiläums hatte der Liga Ausschuss Kind, Jugend, Familie deshalb die zentralen Kooperationspartner der öffentlichen und freien Jugendhilfe auf Landesebene zu einem digitalen Fachgespräch eingeladen, um mit Prof. Wolfgang Schröer (Universität Hildesheim) und Susanne Achterfeld (Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF) der Frage nach zu gehen, wie selbstorganisierte Zusammenschlüsse zur Selbstvertretung in Baden-Württemberg gestärkt werden können.

Frau Achterfeld präsentierte nicht nur die Intention des Gesetzgebers hinter § 4a SGB VIII, sondern gab auch sehr wertvolle Anhaltspunkte, die unbestimmten Rechtsbegriffe, wie die Anregung und Förderung von Selbstvertretung, auszulegen.

Herr Prof. Dr. Schröer stellte die neue gesetzliche Regelung als historisches ‚Momentum‘ dar, das Potenzial hat, kommunale Sozialpolitik neu zu gestalten. “Selbstvertretung stärkt den rechtebasierten Ansatz in der Kinder- und Jugendhilfe und zeigt klar auf, dass auch junge Menschen und Familien das Recht haben, sich in die kollektive Aushandlung von Bedarfen vor Ort (und nicht nur zu ihren individuellen Bedürfnissen) einzubringen”, so Schroer. Ihre Expertise sei vor dem Hintergrund essentiell, Hilfen adäquater weiterzuentwickeln; es ist auch ein Umdenken der Akteure und ein Weiterentwickeln der Strukturen in der Jugendhilfe notwendig.

Aus den Inputs kam nochmal deutlich heraus: Es ist jetzt der richtige Zeitpunkt, das Thema Selbstvertretung auf allen Ebenen anzugehen, auch um die Motivation und das Engagement junger Menschen für die gesetzliche Veränderung auf- und mitzunehmen.

In der Diskussion wurden viele Fragen nach der konkreten Ausgestaltung diskutiert und auch besprochen, vor wie vielen „Mammut“-Aufgaben und Herausforderungen die Kinder- und Jugendhilfe in Baden-Württemberg steht. Gleichzeitig wurde Selbstvertretung als große Chance wahrgenommen.

Selbstorganisierte Zusammenschlüsse zur Selbstvertretung werden ein wichtiger Aspekt für die anstehende Novellierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes für Baden-Württemberg sein. Auch wird sich die Frage stellen, wie man das Thema in andere rechtliche Rahmungen einbringen kann, wie z.B. in den Rahmenvertrag nach § 78f SGB VIII.

Insgesamt konnte das digitale Fachgespräch dazu beigetragen, den Blick auf diese Beteiligungsnorm des SGB VIII zu lenken und ein gemeinsames Grundverständnis der verschiedenen Akteure der öffentlichen und freien Kinder- und Jugendhilfe in Baden-Württemberg zur Stärkung von selbstorganisierten Zusammenschlüssen zur Selbstvertretung zu entwickeln.

Diese gemeinsame Basis gilt es auf den verschiedenen Ebenen weiterzutragen und viele Vernetzungs- und Dialogräume zur Selbstvertretung zu schaffen.  Deutlich wurde auch, dass dabei die jungen Menschen und ihre Familien mit ihrer Expertise dringend in die Diskussionen und Aufbau von Selbstvertretungsstrukturen miteinbezogen werden müssen.

Die Liga der freien Wohlfahrtspflege setzt sich dafür ein, institutionalisierte Selbstvertretungsstrukturen in der Kinder- und Jugendhilfe auf der Landesebene anzuregen und zu fördern.