22 Feb

Am 22. Februar 2022 stellte die Liga der freien Wohlfahrtspflege zum 30. Mal die Ergebnisse der Stichtagserhebung zur Wohnungslosigkeit in Baden-Württemberg vor. Am 24. September 2021 wurden insgesamt 11.619 hilfesuchende Menschen in den Diensten und Einrichtungen der Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe beraten und unterstützt, davon 27,3 Prozent Frauen. Das sind 198 Menschen (+ 1,7 Prozent) mehr als noch am Stichtag im Jahr 2020.

Dr. Annette Holuscha Uhlenbrock, Vorstandsvorsitzende der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg, fasst die Ergebnisse zusammen: „Das zweite Jahr der Corona-Pandemie stellt die Menschen in Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit, aber auch die Dienste und Einrichtungen der Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg erneut vor große Herausforderungen.“ Die Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe arbeiten seit Beginn der Pandemie daran, die Hilfeangebote für wohnungslose Menschen weitgehend aufrechtzuerhalten. Geltende Kontaktbeschränkungen und die Einhaltung von Abstandsregeln und Distanzgeboten führen gerade in den für wohnungslose Menschen so wichtigen Angeboten, wie Tagesstätten oder Mittagstischen zu Einschränkungen. „Gerade Menschen, die auf der Straße leben und kein zuhause haben, sind auf die Angebote der Wohnungsnotfallhilfe angewiesen“, so Holuscha-Uhlenbrock.

Die Liga-BW fordert das Land, aber auch die Stadt- und Landkreise dazu auf, ihrer Verantwortung für die Situation von wohnungslosen Menschen nachzukommen. Wohnungslose Menschen und auch die Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe und der Straffälligenhilfe dürfen nicht länger übersehen werden.

Die bereits 2020 erfolgte schnelle Hilfe des Landes in der Bereitstellung von Schutzmaterialien und einer ersten finanziellen Unterstützung zur Bewältigung von Mehraufwendungen werden ausdrücklich begrüßt. Dennoch sind weitere Maßnahmen gefordert, welche die durch die Corona-Pandemie verursachten Kosten und Ausfälle kompensieren. Auch in der Verbesserung der digitalen Infrastruktur fehlt es an Unterstützung durch die öffentliche Hand. Denn neben den zusätzlichen Aufgaben im Rahmen des Gesundheitsschutz- und der Hygieneauflagen, gleichen viele Einrichtungen derzeit die mangelnde direkte Ansprechbarkeit von Behörden aus. Digitalisierungsprozesse in der Verwaltung verschärfen die Exklusion wohnungsloser Menschen zunehmend.

Allen Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen zum Trotz: gegen Wohnungsnot helfen nur Wohnungen. „Der soziale Wohnungsbau muss bei der Grundstücksvergabe und Flächennutzungsplanung konsequent priorisiert werden“, bekräftigt die Vorsitzende der Liga-BW. Nur unter Beteiligung aller relevanten Akteure und deren gemeinsame Suche nach pragmatischen und wirksamen Lösungsansätzen kann die bedarfsgerechte Schaffung und der Erhalt von bezahlbarem Wohnraum in Baden-Württemberg gelingen.

Bundesstatistik ergänzen

Bereits seit Beginn ihrer eigenen Erhebung vor 30 Jahren fordert die Liga-BW eine amtliche Wohnungsnotfallstatistik. Dr. Annette Holuscha-Uhlenbrock begrüßt die erstmalige Umsetzung auf Bundesebene in diesem Jahr sehr. Am 31.01.2022 wurden Daten zum Umfang und Ausmaß von Wohnungslosigkeit deutschlandweit erhoben. „Dennoch bleibt die Erhebung deutlich hinter unseren Erwartungen zurück, denn ein Großteil der wohnungslosen Menschen wird gar nicht erfasst. Wir erwarten, dass das Land die bestehenden gemeinsamen Konzepte von der Liga und den Kommunalen Spitzenverbänden berücksichtigt und die Datenerhebung in Baden-Württemberg nicht hinter den Stand dieser Stichtagserhebung zurückfällt“, so Dr. Holuscha-Uhlenbrock.

Es ist Zeit jetzt zu handeln!

Die Ergebnisse der 30. Stichtagserhebung in Baden-Württemberg unterstreichen erneut zahlreiche Reformbedarfe. Die Verbände der Liga-BW fordern seit langem ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Beendigung von Obdachlosigkeit und Wohnungsnotlagen.

  • Die konsequente Weiterentwicklung und Umsetzung des Fachkonzeptes zur Verbesserung der Situation für Menschen in Wohnungsnotlagen in Baden-Württemberg. Die aktuelle Landesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zur Umsetzung der Empfehlungen der GISS-Studie zu „Umfang, Struktur und Hilfen für Menschen in Wohnungsnotlagen“ verpflichtet.
  • Gegen Wohnungsnot helfen nur Wohnungen. Die Situation der Menschen in sozialen Schwierigkeiten wird sich nur flächendeckend verbessern lassen, wenn in der Belegung im Bestand sowie beim Neubau wirksam und sozial verantwortlich gesteuert wird und der Abbau von Sozialwohnungen gestoppt wird.
  • Angebote zur Prävention von Wohnungslosigkeit und Plätze in Facheinrichtungen der Hilfe nach §§ 67 ff. SGB XII müssen bedarfsgerecht ausgebaut werden. Dies gilt insbesondere für solche Stadt- und Landkreise, die bis heute keine entsprechenden Angebote vorhalten.
  • Die amtliche Wohnungsnotfallstatistik muss an den in Baden-Württemberg vorhandenen Wissenstand anknüpfen. Die Daten der Bundesstatistik müssen hier durch die geeinten Daten in Baden-Württemberg ergänzt werden und bspw. auch die Anzahl der Übernachtungen in den Angeboten der Wohnungslosenhilfe umfassen. Andernfalls wird die reelle Wohnungslosigkeit in BW nicht authentisch erfasst.
  • Im Zuge der Corona-Pandemie braucht es für Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen aber auch für die Dienste und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe unbürokratische und unkomplizierte Hilfen. Die schnelle Hilfe des Landes mit Schutzmaterialien und einer ersten Unterstützung zur Bewältigung der finanziellen Mehraufwendungen begrüßen wir ausdrücklich. Dennoch müssen die Einrichtungen und Dienste die während der Corona-Pandemie verursachten Kosten aber auch die Ausfälle erstattet bekommen, die durch die Einrichtung von Quarantänebereichen und die damit verbundenen Minderbelegungen entstanden sind.

Foto: Ottmar Fahrmeier